Kurz bevor sich die Jungs von Saltatio Mortis Ihr Bühnenoutfit anlegten und im Rahmen der „Für Immer Frei-Tour 2022“ in Ludwigsburg mit ihrer bislang größten Bühnenshow einen phantastischen Auftritt auf die Bretter zauberten, hatten wir vom Rockmagazine noch die Gelegenheit, mit Saltatio-Frontmann Jörg Roth (Alea der Bescheidene), dem Mann an der Drehleier Gunter Kopf (Falk Irmenfried von Hasen-Mümmelstein) und Drummer Jan S. Mischon (Jean Méchant, der Tambour) ganz gechilled ein Interview zu führen. Themen waren neben der aktuellen Tour natürlich auch anstehende Projekte und ihr Auftritt im ZDF beim „Rock im Garten“. Ganz deutlich spürte man bei den drei SaMo`s die große Freude über die nun endlich stattfindende Tour, die wegen der Pandemie immer wieder verschoben werden musste.
RM: Hallo ihr Drei, es freut mich, dass ihr Euch kurz vor dem heutigen Auftritt noch die Zeit für dieses Interview nehmt. Wie geht es Euch nach der langen Pause? Zwei Jahre keine Tour und nur wenige Konzerte, wie beispielsweise der geile Auftritt beim Metalfest in Pilzen/CZ (den Festivalbericht findet ihr hier), bei dem ich euch im Juni schon mal sehen konnte.
Jean: Also uns geht es glaube ich, wirklich gut. Wir freuen uns jetzt auch, dass wir endlich wieder spielen können. Ich kann nur für mich sprechen und finde das total klasse, dass es wieder so richtig losgeht und die Hallen voll werden. Dass es die Leute so geil annehmen, find ich richtig klasse.
Alea: Wir waren schon die ganze Zeit so ein bisschen auf Sparflamme. Da waren dann zwischendrin ein paar kleinere Festivals oder auch mal ein größeres Festival, aber leider nur sehr wenige. Und auf Tour zu sein, ist noch mal eine ganz andere Nummer. Du bist dann so im Tross unterwegs, siehst die Crew jeden Tag, du sagst dann schon „die Family“ zu ihnen. Das haben wir schon vermisst.
Jean: Du hast dein eigenes Zeugs dabei, hast deine eigene Show oder Show-Elemente, die du dann auffahren kannst. Bei dem Festival in Pilsen hast du nur eine Umbaupause von vielleicht 10 bis 15 Minuten, da kannst du so eine Bühnenshow (wie hier in Ludwigsburg, Anm. der Red.) gar nicht aufbauen. Im Vergleich zu dem, was wir dieses Mal alles dabeihaben, da (in Pilsen, Anm. der Red.) muss es einfach schnell gehen. Da heißt es immer „sei deine eigene Pyro, sei dein eigenes Feuer“.
RM: Die Stimmung in Pilsen war fantastisch, Ihr wart im Lineup eigentlich viel zu früh dran.
Falk: Ja, das ist im Prinzip die Tour, die wir eigentlich 2020 spielen wollten. Wir wollten damals unsere 20-Jahr-Geburtstagsfeier machen, danach ein Album rausbringen und dann sollte es auf Tour gehen. Und die Zeichen standen sooo gut. Aber so ging es wahrscheinlich sehr vielen Bands, die sich sehr auf dieses Jahr gefreut haben. Und dann ging wegen Corona halt gar nichts. Das heißt im Umkehrschluss, wir gehen jetzt seit zwei Jahren mit diesem Konzept „schwanger“. Und das hat sich über diese zwei Jahre immer wieder ein bisschen verändert. Wir können ja jetzt nicht einfach ein Album spielen, das zwei Jahre alt ist und sonst nichts weiter. Wegen der Pandemie waren wir auch konzert- und tourmäßig relativ wenig unterwegs. Aber wir waren ja nicht faul, sondern es wurden einige neue, sehr spannende Songs geschrieben. Daneben haben wir unglaublich tolle Projekte an den Start bekommen, z.B. zusammen mit Bethesda, der Videospiel-Firma von „Elder Scrolls Online“.
Jean: Und das Video (Behind the Scenes/Making Of zu „Pray for the Hunter“ Anm. der Red.) haben wir dann in der Schauburg in Karlsruhe mit einer großen Kinopremiere quasi uraufgeführt. Also wir waren überhaupt nicht untätig in der ganzen Zeit.
Falk: Wir haben völlig neue Dinge angedacht und quasi die Band noch einmal neu positioniert, was die Songs angeht. Da war zum Beispiel der Song „Hypa Hypa“ mit den Electric Callboy einfach ein sehr zündender Moment. Und es hat uns auch niemand krumm genommen hat, dass wir so einen Song gemacht haben.
Jean: …und jetzt können wir alles machen.
Falk: Das kann man heute schon sagen. Wir haben Narrenfreiheit in Anführungsstrichen – was auch ein schöner Albumtitel wäre, „narrenfrei“ oder so was Ähnliches.
Jean: (platzt dazwischen) Pssst… nicht verraten…
Falk: Mega spannend, was da alles passiert ist und noch kommen wird. Wir haben extra für diese Tour einen eigenen Song gemacht, der nicht auf Platte ist. Es soll ein Geschenk für die Fans sein, den wir quasi bei der Tour released haben. Als Entschädigung, da sie sonst eigentlich ja nichts hatten. Wenn ich zu einem Konzert gehe und ich habe ein neues Album gekauft, dann höre ich mir das Album intensiv an und schaue, dass ich die Texte und Lieder kenne. Und diese ganze Spannung fehlt natürlich etwas, wenn das Album schon zwei Jahre alt ist.
Alea: Wir hatten ja auch überhaupt nicht die Möglichkeit gehabt, das Album richtig zu zelebrieren und die Songs mal in einem Rahmen zu spielen, den sie verdient haben. Für mich ist der Song nicht nur irgendwie ein Teaser oder ein „Angel-Ding“, um irgendwie damit die Spannung zu halten, sondern es ist einfach ein Dankeschön an die Fans, die uns zwei Jahre lang den Arsch gerettet und uns bis zum Anschlag supported haben.
RM: Ihr habt, wie ihr schon sagtet, viele neue Projekte am Start, besonders die Videos sind m.E. gigantisch. Vor allem das „Pray for the Hunter“ finde ich absolut klasse. Das ist ja richtig „Game of Thrones„-like, qualitativ und auch storymäßig erste Sahne! (Anm. d. Red. Schaut euch unbedingt das Making of dazu an, allerbeste Unterhaltung !)
Falk: Hier war Alea für die Kostüme federführend verantwortlich, um einfach alle Leute in geile Kostüme zu stecken. Wir hatten auch Cosplayer, die schon einiges mitgebracht haben, aber es ist sein Werk. Das muss irgendjemand übernehmen und Du brauchst viel Zeit dazu, von faul kann man daher überhaupt nicht sprechen. Wir haben einfach ganz andere Dinge gemacht und die haben auch brutal viel Spaß gemacht.
Jean: Das Spannende ist ja, von außen betrachtet denkt man so, na ja, die ganzen Bands, die hatten jetzt nichts zu tun. Aber im Grunde waren es ja nur weniger Konzerte. Auch wir haben ja Konzerte gespielt, es waren eben nur weniger als sonst. Aber drum herum war viel, viel mehr Arbeit, die Videoprojekte, die neuen Songs usw. Aber es geht ja auch nicht um einen Einzelnen, sondern es geht um das, was haben wir als Kollektiv gemacht haben. Ich finde, wir haben uns tatsächlich den Arsch abgearbeitet, zwei Jahre lang.
Alea: Und im Endeffekt waren die zwei Jahre ja nicht so was wie eine Bremse für uns, sondern sie haben ganz andere Türen geöffnet.
Jean: Und jetzt wie gesagt, geht es wieder los. Die Shows laufen super, die Leute kommen, das finde ich großartig. Also jeden Abend, an dem wir gespielt haben, gehen die Leute raus, haben ein Lächeln im Gesicht, sind nass geschwitzt, freuen sich ohne Ende und sagen „Da gehen wir wieder hin. Das war geil!“.
Falk: In der Zeit sind wir auch von acht auf sieben (Musiker, Anm. der Redaktion) geschrumpft. Das sind alles noch solche Dinge, da ist bei uns eigentlich total viel passiert.
RM: Jean, du hast jetzt im Grunde die neue Position von Timo am Schlagzeug übernommen… was hat sich für dich verändert?
Jean: …ja, ich bin „der Neue“ (lacht laut) und seit 14 Jahren in der Band. Ich muss jetzt ganz kurz was erzählen, auch auf die Gefahr, dass es zu viel ist, aber das war so geil. Freunde von mir waren bei unserer Jubiläumsshow und haben mir hinterher erzählt, dass neben ihm Leute standen, die sagten „das da hinten, das ist der Neue“. Er hat sich fast totgelacht, da ich seit über 14 Jahren in der Band bin.
Aber zurück zur Frage, was hat sich für mich verändert? Eigentlich gar nicht so viel, weil ich ja auch vorher schon Schlagzeug gespielt habe, nur eben nicht das volle Set, sondern eher in der Mitte des Gigs vier, fünf Nummern. Und ansonsten habe ich Gitarre gespielt oder auch mal ein bisschen Klavier. Ich bin mit Herz und Seele Trommler, das war ich schon immer. Ich hätte natürlich auch gern weiter Rhythmusgitarre gespielt, weil das weitaus weniger anstrengend ist.
Falk: Nur du bist halt einfach auch ein verdammt geiler Schlagzeuger!
Jean: Danke schön.
Falk: Ja, und deswegen haben wir gesagt, wenn wir schon so jemand haben, warum sollen wir noch jemanden anderen suchen? Wir dachten einfach, wir probieren es mal so. Wenn es nicht taugt, kann man immer noch nach ‘nem Drummer suchen. Und dann hat Jean gesagt: „Boah, ich kann endlich Schlagzeug spielen.“.
Jean: Ich hatte einfach Bock drauf. Und die ersten Proben waren großartig, die ersten Shows waren super. So war schnell klar, wir kriegen das zu siebt auch super gestemmt. Die Band ist dabei auch noch einmal ein ganzes Stück dran gewachsen.
Falk: Und jetzt haben wir für mich die geilste Show, die wir je gemacht haben. Wir waren noch nie mit so vielen Leuten unterwegs, ‘ne Hammercrew. Wir treten zusammen mit ANTIHELD auf, die ja um die Ecke aus Stuttgart kommen. Das ist total geil, mit denen unterwegs zu sein. Wir haben richtig das Gefühl, dass wir eine „Band of Brothers“ sind, die jetzt gemeinsam ihr Ding durchziehen, die Techniker, ANTIHELD und wir. Wir haben zum ersten Mal mehr Leute, die unsere Fahrzeuge bewegen, als wir Musiker auf der Bühne sind. Das hatten wir bisher noch nie, alles ist irgendwie so völlig schräg. Wir haben zwei 40-Tonner dabei, die unser Zeugs transportieren, das haben wir auch noch nie gehabt. Wir bringen diesmal alles selber mit, die Hallen sind quasi leer, wenn wir reinkommen. Ganz neue Dimensionen und wir lernen quasi bei der Tour – das ist super spannend – Du lernst das Geschäft jedes Mal wieder neu. Hauptsächlich unsere Techniker, für die ist vieles völlig neu.
RM: Neulich habe ich Euren Podcast angehört, die Folge „Von der Straße bis nach Wacken“, in der ihr über die ersten Jahre als Straßenband erzählt. Auf der Straße in Karlsruhe habe ich Euch leider nie gesehen. Wenn du jetzt sagst, ihr seid jetzt mit zwei 40-Tonnern unterwegs, dann heißt das ja auch, die Band ist über die Jahre unwahrscheinlich gewachsen. Das habt Ihr Euch ja damals nicht träumen lassen, dass ihr mal irgendwann in diese Dimensionen kommt.
Falk: …gar nicht. Das war so weit weg…
Alea: …ich glaub, so ganz am Anfang war das so „irgendwann…dann spielen wir mal auf dem und dem Markt… (lacht laut).
Jean: …vielleicht lassen die uns dann mal da oder da auftreten…
Alea: …ganz genau, genau.
Jean: Wir sind ja auch selber riesengroße Musikfans. Wir unterhalten uns oft über Musik und hören uns gerne Musik an. Und für uns war, als wir angefangen haben Musik zu machen, jeder, der auf irgendeiner Bühne steht, einfach ein Star, weil er das machen konnte, unabhängig davon, ob man damit mal Geld verdienen kann oder ob man das Ganze als Beruf machen kann. Niemand von uns hat damals darüber nachgedacht, sondern es war einfach „das ist großartig, das fühlt sich super an, das will ich auch machen können“. Und dass das Ganze so wächst, ist total geil! Dass du irgendwo sitzen kannst, dir Songs ausdenkst, und ein bis eineinhalb Jahre später ist dann eine Produktion fertig. Wie bei uns geht das jetzt relativ schnell, wenn man alle drei Monate einen neuen Song raushaut, ein paar Monate später stehen die Leute in der Halle und singen den Song mit, den Du dir ausgedacht hast. Und das ist natürlich das größte Geschenk, was es gibt. Unabhängig davon, dass es natürlich jetzt mittlerweile eine Riesenproduktion ist, fühlt sich das auch für mich noch unwirklich an.
Alea: Also heute in diese Halle hier reinzulaufen und zu denken, „wir spielen hier“…
Falk: …gestern spielten hier In Flames, heute spielen wir in der Halle!
RM: Das ist heute eine der größeren Hallen der Tour?
Falk: …tatsächlich, aber es ist noch immer gut besetzt. Heute ist der hintere Bereich zwar abgehängt, aber wenn die offen sind und die Halle voll ist, wow, dann sind es auch etwa 3.000 – 4.000 Leute hier. Wir waren in Gelsenkirchen, da waren wir schon mal vor 20 Jahren, da waren richtig viele Leute da. Wir haben mal einen Teaser zur Tour gemacht, wie es auf der Tour werden kann. Und wir freuen uns natürlich darüber, weil viele Kollegen durch Krankheit gebeutelt sind, viele Touren laufen leider nicht gut, weil einfach auch aktuell zu viel stattfindet.
Alea: Wir spielen heute gegen Rise Against!
Falk: …in Anführungsstrichen, natürlich nicht in diesem Sinne „gegen“, aber die spielen heute parallel zu uns. Ich bin mir sicher, dass viele Leute, die auf dem Rise Against Konzert sind, sagen „hey, ich würde auch gerne einmal Saltatio sehen“ und umgekehrt. Schade, oder? Wir waren parallel zu Schandmaul unterwegs und haben uns quasi die Klinke in die Hand gegeben. Wir mögen uns super gerne und beneiden uns überhaupt nicht gegenseitig, aber es ist halt einfach sehr voll im Kalender.
Jean: …und man drückt den Kollegen ja auch die Daumen.
Falk: Die Fans haben auch nur ein begrenztes Budget an Geld…
RM: Da liegt ja auch ein Problem. Es ist eine schwere Zeit mit vielen Konzertüberschneidungen. Man kann jeden dritten Tag auf irgendein Konzert gehen…, und das bei den aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
Jean: Genau, die Leute müssen ihr Geld zusammenhalten, haben seit zwei Jahren vielleicht noch zehn Karten am Kühlschrank hängen, die sie eigentlich noch einlösen müssen.
Falk: Ja, wie gesagt, wir freuen uns jetzt, endlich wieder auf Tour zu sein. Und ich hoffe und wünsche mir einfach, dass noch viele Leute die Chance nutzen, unsere aktuelle Show anzusehen.
RM: Wie lange dauert es eigentlich, um eure ganze Produktion aufzubauen?
Alea: Die Jungs sind heute Morgen um 9:00 in die Halle rein.
Jean: Und das ist spät, normalerweise geht es um 7:00 morgens los. Aber gestern Abend waren wir erst spät aus der anderen Halle draußen, die Crew braucht eben auch ein bisschen Schlaf. Deswegen ging es heute erst um neun los in der Halle und dann arbeiten die jetzt im Grunde durch.
Alea: Die PA-Leute haben bereits um acht angefangen.
Jean: Genau. Die PA-Leute müssen ein bisschen früher anfangen, die hängen die Beschallung auf und dann wird alles eingemessen und dann geht’s den Tag über durch.
Alea: Also es ist eine irre große Produktion, so was haben wir noch nie gemacht. Aber es ist natürlich auch ein Traum, der für uns in Erfüllung geht.
RM: Ein Thema bei einer Tour ist ja immer der Kostenfaktor. Wenn man seitens der Veranstalter hört, was teilweise die Bands kosten, und man dann die Ausgaben decken muss. Auf der anderen Seite habt ihr eine riesige Produktion dabei, also eine Menge Leute, die wollen auch ihren Unterhalt bestreiten. Rechnet sich denn eine solche Tour und könnt ihr davon euren Lebensunterhalt bestreiten? Man hört ja immer wieder bei den großen Bands, dass Sie sich hauptsächlich über die Touren finanzieren. Oder geht noch etwas über Plattenverkauf, Merch usw.?
Jean: Vom Plattenverkauf kannst du heutzutage keine Band mehr ernähren. Also im besten Falle kriegst du, wenn du eine Plattenfirma hast, die dir ganz viel Geld hinterherschmeißen möchte, das Geld als Vorschuss und dann kannst du damit arbeiten. Aber du musst ja davon auch eine Platte machen. Du musst Songs aufnehmen, das kostet auch wieder Geld…
Falk: … und in der Zeit musst du ja auch noch von etwas leben…
Jean: Also realistisch betrachtet, das muss man leider so sagen, ist alles, was mit Musik machen, Musik herstellen und Musik verkaufen zu tun hat, im Grunde tot!
Wir sind noch in der glücklichen Lage, dass unsere Fans nach wie vor auch unsere Platten kaufen. Aber es ist natürlich überhaupt kein Vergleich mehr zu dem, wie es einmal früher war. Das ist ein Problem! Aber das ist auch der Grund, warum so viele Bands wieder touren, weil die Kohle muss eben irgendwo herkommen.
Falk: Mein Auto hat keinen CD-Player mehr, es ist einfach keiner mehr drin. Ich kaufe so gern von kleinen Bands CDs oder auch von Bands, die nicht bei Spotify sind. Aber was passiert mit der CD de facto? Letztlich lädst du sie einmal rein, dann hast du sie in deiner Playlist und ansonsten steht die CD im Schrank. Das heißt, es ist vielleicht völlig richtig, dass ein Medium, das nur „Müll“ produziert, also Plastikmüll, dass das ausstirbt! Aber wir haben noch nicht die Lösung gefunden, um die Qualität in der größeren Dimension zu leisten, die einer Rockband wie wir, einfach ein finanzielles Backup gibt. Wenn ich ein DJ bin, wenn ich ein Rapper bin, mit meinem Mikrofon und hinten steht einer am Turntable und der macht eine Halle voll, habe ich natürlich viel weniger Kosten, wie wenn ich jetzt so ein Projekt habe, wie wir sind.
Jean: Denn nicht nur die Musiker auf der Bühne, wir haben es ja schon davon gehabt, auch die vielen Techniker brauchen wir. Die ganze Technik, ist ja alles sehr speziell, wir wissen ja gar nicht, wie man das alles aufbaut und bedient. Das könnten wir auch gar nicht leisten. Klar, da könnte man jetzt drüber streiten, „ja, dann macht es halt kleiner, dann stellt Euch nur so auf die Bühne“. Klar, das könnte man natürlich machen, nur das wollen ja die Leute auch nicht sehen. Warum soll ich dann auf ein Konzert gehen? Die Leute sind heutzutage auch gewohnt, ein Spektakel geboten zu bekommen. Und dann muss man ihnen auch was bieten!
Alea: Das ist ja heute nicht mehr so wie früher, dass…was weiß ich, wenn die Beatles gespielt haben, irgendwie Gitarrenboxen als PA benutzt wurden.
Jean: …und wo man ab Reihe 5 nichts mehr gehört hat…(lacht los)
Alea: …ja, es geht um Entertainment, um bleibende Momente, und die müssen visuell, auch akustisch….
Jean: …auch haptisch sein, du musst das erleben. Das Tolle bei unseren Shows ist – ich will uns jetzt gar nicht selber so loben, … aber schon so ein bisschen… dass die Leute wirklich hinterher rausgehen und sagen, das war ein Erlebnis. Wenn ich zum Beispiel auf ein Konzert gehe, wo beispielsweise einfach sehr, sehr gute Musiker spielen… das finde ich auch toll, das kann ich mir anhören… Wenn ich jetzt z.B. ein Dream Theater-Konzert nehme, das finde ich total spannend, interessant, aber das ist jetzt kein ganzheitliches Erlebnis für mich. Aber bei uns ist es so, wenn die Leute da rausgehen, dann war das ein Erlebnis für sie, die haben ein Lächeln im Gesicht und sagen, „das war geil. Ich habe mich da in einer Gemeinschaft gut aufgehoben gefühlt“. Sie machen verschiedenste Dinge mit, sie springen, sie tanzen, sie singen die Songs mit und gehen hinterher raus und sagen: „Hey, saugut, geilster Abend ever!“.
Das schreiben uns die Leute. Wir dürfen das nicht überbewerten, aber du verstehst, was ich meine. Darum geht es uns bei unseren Shows.
RM: Euch sieht man auch den Spaß auf der Bühne an. Gerade bei großen Bands ist das meines Erachtens oftmals nicht mehr der Fall. Sie machen einfach ihren Job.
Falk: Wenn wir jetzt – also widersprecht mir gern – drei Monate am Stück auf Tour sind, was diese Bands ja weltweit machen, dann gehst du im zweiten Monat, wenn dein Sänger sich nicht verausgabt hat und du nicht wirklich auf dich achtest, echt auf dem Zahnfleisch und dann ist dir irgendwann egal, in welchem Land du bist und welche Bühne das ist. Es ist ein echt anstrengender Job. Wir schauen, dass man uns das nicht so anmerkt. Das ist eine Aufgabe, aber es ist wirklich anstrengend. Nach so einem Wochenende bin ich ganz schön durch und brauche mal einen Tag, um wieder anzukommen. Wenn ich mir vorstelle, dass ich dann diesen Tag im Nightliner verbringe …also wo ich mich nicht erholen kann…
Alea: …wenn man auf dem Weg zur nächsten Show ist…
Falk: …und dann bin ich bestimmt nach vier Wochen ganz schön am Arsch! Dann ist es auch mal schwierig, egal wieviel Profi man ist, den Funken aufrecht zu erhalten. Das wird mir aber jetzt erst richtig bewusst mit so was Großem im Nacken, wie wir es jetzt gerade machen.
Alea: Also ich glaube, dass kein Musiker auf die Bühne geht und einfach sagt, jaaaa. Also nein, das macht keiner. Man sagt immer mal schnell „ja, die haben es nicht mehr nötig“. Ja aber, wenn sie es nicht mehr nötig haben, warum machen sie es dann?
Sie machen es ja nicht so, weil irgendwie die Millionen zu Hause kleiner geworden sind. Also wenn wir jetzt z.B. über Leute wie Iron Maiden reden…oder weil das Flugzeug abgemeldet werden musste… Nein, die machen das, weil sie Bock drauf haben.
RM: …es ist wohl auch deren Lebensinhalt, ihr Leben.
Alea: Genau, das ist dein (Musiker) Leben, das hast du gewählt. Du hast mal einen Scheißtag und mal einen guten Tag. Und genauso hast du irgendwie Leute, die sagen „Oh, ich war bei der und der Band, die waren so scheiße drauf“. Ja, nur Gott weiß, was bei den Leuten gerade passiert ist.
Jean: Es kommt drauf an, was man so an Erwartungshaltungen bei einem Konzert mitbringt, was man gerne sehen möchte. Ich glaube, der Fan oder der Zuhörer, der da in der Halle steht, der bringt auch viele Erwartungen mit, und wenn die dann erfüllt werden, dann ist es ein geiles Konzert, ne geile Show gewesen. Und wenn bei uns zum Beispiel einer reinkommt, der eigentlich nur in Ruhe dastehen und das Konzert anschauen möchte, dann hat er echt Pech gehabt. Weil der muss dann mitspringen und mittanzen und alle rempeln ihn an.
Falk: …das wäre sicher der schlimmste Abend ever für ihn, weil er sich bewegen musste…(lacht laut)
Jean: … und dann geht er hinterher raus… das war aber nix!
Falk: Und was hat denn der Sänger dauernd, der schreit mich die ganze Zeit an, dass ich mich bewegen soll… (großes Gelächter)
Alea: Also ich kann nur von mir ausgehen. Ich hatte nicht so viele Möglichkeiten, mir Konzerte anzuschauen, bevor ich mit Saltatio unterwegs war. Und dann passiert es mir immer wieder, dass wir „meine Jugendhelden“ irgendwo sehen. Und dann muss das natürlich genau die Emotionen auslösen, die ich mir immer vorgestellt habe. Dann stehst du da im Konzert und denkst: naja, ist auch nur mit Wasser gekocht. Also ich glaube, dass der eigene Anspruch wirklich ein großer Faktor ist.
RM: Im August wart ihr ja im Fernsehen im Rockgarten beim ZDF. Ich war an der Poolarena und habe Euren Jump in den Pool live miterlebt….
Alea: Das erste Mal, dass eine Band den Pool genutzt hat. Wir waren tatsächlich die Ersten, die seit dem Bestehen des ZDF-Fernsehgarten in 35 Jahren in den Zierpool reingesprungen sind.
RM: War es „offiziell“ erlaubt oder habt ihr es einfach gemacht?
Falk: Nein es war natürlich nicht erlaubt!
Alea: …es war uns egal…(lacht schelmisch)
Falk: … es hat uns niemand dazu aufgefordert…
RM: Das war mir klar, ich habe Euch nach dem Auftritt im Backstage-Bereich gesehen und du (Alea) bist mit Luzi angekommen, patschnass triefend, mit einem Grinsen im Gesicht, wie zwei kleine Jungs, die sich riesig gefreut haben.
Jean: Genau, mal eben was angestellt zu haben…
RM: ..das kam richtig authentisch rüber.
Jean: …und die Redaktion hat auch noch versucht, ganz schnell auszublenden. Erst haben sie weggeblendet, dann aber gesehen, da passiert nichts Schlimmes, und dann haben Sie wieder draufgehalten, dass man die Aktion auch sieht. Aber die waren schon überrascht davon!
RM: Im Fernsehgarten spielt man ja nicht live. Wie war das für Euch?
Jean: Du kannst beim Fernsehen immer sagen, meine Band will aber unbedingt live spielen. Dann klingst du aber am Fernsehen schlecht, weil die beim Fernsehen nicht auf Livemusik ausgelegt sind. Auch kommt noch was ganz anderes hinzu: Du hast nur ganz kurze Umbaupausen und der technische Aufwand, der dort fürs Fernsehen betrieben wird, ist nur aufs Fernsehen ausgerichtet und eben nicht für ein Livekonzert. Wenn wir uns bewusst entscheiden würden, unbedingt bei unserem Auftritt live zu spielen, dann könnten wir das tun. Allerdings klingen wir dann aber signifikant schlechter als alle anderen Künstler, die Halbplayback oder Playback spielen. Und der Zuschauer, der zu Hause sitzt und sich die Show anschaut, der sagt dann nicht, „die haben sich angestrengt und live gespielt. Das klang dann aber leider nicht so gut, weil der Tonmann im Übertragungswagen das nicht richtig abgemischt hat“. Nein, was sagt er? „Die Band war scheiße“. Aus diesem Grund und um den technischen Aufwand kleiner zu halten, machst du solch einen Auftritt einfach Playback – bei allem, was im Fernsehen ist. Es sei denn, es ist eine Show, die wirklich darauf ausgelegt ist, wie damals TV Total oder auch amerikanische Talkshows. Dort machst du so wie heute auch bei einem Konzert einen langen Soundcheck. Alles kann dann stehen bleiben und muss nicht mehr abgebaut werden.
Falk: Im Fernsehgarten und auch bei anderen Shows wird immer alles sofort umgeräumt und der nächste Künstler ist dran. Das heißt, du hast genau die zwei Möglichkeiten. Im Fernsehgarten kannst du eigentlich gar nicht sagen, wir wollen live spielen. Die sagen dann einfach „Bleibt daheim“. Es ist eher so, dass Du dich präsentierst. Du hast die Chance, dich oder deinen Style vorzustellen. Das Fernsehen kann sich überhaupt nicht erlauben, dass der Ton mal schlecht ist. Dort zählen die Klicks und Views. Und wenn dann jemand zu sich sagt „da muss ich ja zwei Minuten warten, bis der Sound endlich steht, bis die Band endlich wieder spielen kann“, dann schaltet er eben recht schnell um.
Jean: Ich habe ein ganz konkretes Beispiel aus der Werbung: das Fernsehen oder so eine Fernsehshow ist ja im Grunde eine Plattform dafür, dass sich Bands und Künstler präsentieren können und sich zeigen „Hallo, uns gibt es“. Wenn du eine Werbung siehst, wo ein Burger abgebildet ist, dann ist das ja ganz oft gar kein echter Burger, sondern das ist irgendein Material, was so hin gebaut wird, dass es aussieht wie der leckerste Burger aller Zeiten. Er besteht manchmal aus Kunststoff, aus Plastik oder Wachs. Den kannst du gar nicht essen, aber der soll präsentieren. „Hallo, diese Firma, die macht geile Burger, die sind lecker“. So in etwa kann man das sehen. In dem Moment, wo du dich als Band gerne präsentieren möchtest, da sagst du, hier haben wir jetzt die Chance, uns Leuten zu zeigen, die uns wahrscheinlich noch nicht kennen und wir können sie einladen, uns zu entdecken.
Falk: …und wir haben fünf Minuten Zeit…
Jean: … ja, dann machst du das einfach, oder? Und dann ist dein Produkt quasi, „Hallo, wir sind eine Band und wenn du wirklich sehen willst, wie wir spielen, in echt, in live, dann komm zu einem unserer Konzerte und da siehst du alles in echt und wirklich mit Schweiß und Tränen und allem was dazugehört“.
Falk: Wir haben uns das tatsächlich überlegt, ist das unser Weg? Wollen wir das mal machen? Aber wir hatten einfach viel zu viel Bock, das mal selber zu sehen. Wann kommst du schon mal in den Fernsehgarten? Ansonsten eigentlich nie. Ich fand es so spannend und hätte mir das nicht so geil vorgestellt.
RM: Was steht in naher Zukunft an neuen Sachen an? Ihr habt ja jetzt einige Singles gemacht, die heute Abend auch auf der Setlist stehen.
Jean: Wir sind im Grunde permanent kreativ, also wir schreiben immer und komponieren die ganze Zeit. Das heißt, wir haben ganz viel, was noch kommen wird und „wir halten momentan einfach das Füllhorn offen“.
Alea: Ich glaube, wir haben in den zwei Jahren so viele Kollegen und verrückte Menschen kennengelernt wie noch nie zuvor. Ich glaube, da wird noch einiges um die Ecke biegen, woran heute keiner denkt.
Falk: Wir hatten gestern im Backstage eine Begegnung mit Tetzel (Anm. d. Redaktion Tim „Tezel“ Schmidt, auch Sänger der Göttinger Death-Metal-Band Asenblut). Das ist der Strongman, der auch im Video von „Pray for the Hunter“ mitgespielt hat, der dort den großen Starken gespielt hat. Er ist der stärkste Mann Deutschlands, und der sitzt da einfach so rum. Du schaust an ihm hoch und denkst, okay, das ist so ein Riese und er ist auch noch brutal lieb. Und du denkst, wow, solche Dinge passieren nur, wenn man verrückte Dinge macht…
Jean: …die machen wir am laufenden Band. Wir werden einige Kooperationen mit Leuten machen, wir werden bestimmt neue Songs raushauen, und natürlich Konzerte spielen.
RM: Ist schon konkret was geplant?
Jean: Wenn wir die Chance haben, alle paar Monate in einem gewissen Turnus neues Material direkt rauszuhauen, machen wir das. Klar, gibt es an einem gewissen Punkt so viele Songs, dass man sich fragt, „wollen wir die vielleicht zu einem Album zusammenfügen?“ – das machen ja auch viele Bands. Und dann hast du bestimmt noch drei, vier Songs in der Hinterhand, die packst du dann noch dazu und hast ein vollständiges Album für diejenigen, die das dann haben wollen. Die Realitäten sehen zur Zeit einfach total unromantisch aus, dass das nicht mehr die erste Priorität ist, zumindest für uns als Band, weil wir in dieser schnelllebigen Zeit die Not zur Tugend machen wollen. Wir sagen uns, wenn wir die Chance haben, alle paar Monate was Neues rauszuhauen, vielleicht sogar mit ‘nem geilen Video, dann machen wir das. Dann müssen wir nicht zwei Jahre warten, bis das nächste Album fertig ist. Das war schon eine lange Zeit.
RM: Auch Within Temptation machen das aktuell genau so, die schmeißen jetzt alle paar Monate eine Single auf den Markt…
Jean: …auch Slipknot haben angekündigt, höchstwahrscheinlich nur noch Singles zu machen. Es gibt Leute die machen das schon ewig…
Alea: …das hat ja einen Grund.
RM: …man ist permanent im Gespräch bei den Fans und ihr als Band immer in den Medien präsent.
Falk: Ich bin ein Fan von Musik und wenn ich eine neue Platte bekomme…wann habe ich denn schon mal eine Stunde Zeit, um die Platte komplett anzuhören? Also ich höre mir vielleicht zwei, drei Songs an, aber so wie früher eine Platte einfach genießen, ich komme gar nicht dazu. Ich habe aktuell gerade gehört, Elton John hat eine neue Platte veröffentlicht. Ich bin ein Fan von ihm und ich möchte diese Platte gerne hören. Aber wann soll ich das denn machen? Ich weiß es schlicht nicht.
RM: Die Zeit ist leider schon um und Ihr müsst Euch auf den Gig vorbereiten.Ich sage vielen Dank, dass Ihr Euch so kurz vor dem Auftritt noch die Zeit genommen habt, mit uns zu sprechen. Ich wünsche Euch ein tollen Auftritt und einen erfolgreichen weiteren Verlauf der Tour.
Rockmagazine sagt Danke an Mareike, die Tourmanagerin, die uns den Interviewtermin organisiert hat und natürlich vielen Dank an Alea, Falk und Jean für die wertvolle Zeit, die sie sich für uns trotz engem Terminplan noch so kurz vor dem Auftritt freigeschaufelt haben.
Den Konzertbericht mit zahlreichen Fotos aus der MHP-Arena in Ludwigsburg findet Ihr hier.
Krankheitsbedingt mussten die 3 verbleibenden Konzerte der „Für Immer Frei-Tour“ leider nochmals verschoben werden. Somit bleibt noch die Gelegenheit, sich noch Anfang 2023 bei den 3 Ersatzterminen von den Livequalitäten von Saltatio Mortis zu überzeugen:
26.01.2023 Wien (AT) Simm City
27.01.2023 Linz (AT) Posthof
28.01.2023 Zürich (CH) Komplex 457
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Fotocredits: Emeraldpics by Oliver Haremsa