Land: USA

Genre: Symphonic Folk Metal (zumindest kommt diese Beschreibung ansatzweise an die Realität heran)

Warum tut 2022 mir das an?! Ich meine ja, das neue Jahr gut starten und so. Aber direkt in der ersten Woche ein neues Wilderun Album… Kleine Vorgeschichte: diese Band aus dem schönen USA haben mit “Veil Of Imagination” und dessen Vorgänger “Sleep At The Edge Of The Earth” zwei absolute Monster in LP-Form veröffentlicht. Wie sollen andere Bands überhaupt eine Chance haben 2022 bessere Alben zu produzieren wenn Wilderun den Anfang mit “Epigone” macht?!

Zur Beschreibung des Sounds der Band ist wahrscheinlich weit mehr nötig als mein bescheidenes Studiumsvokabular, aber ich werde es versuchen:

Wilderun bewegten sich zu Zeiten von “Sleep At The Edge Of The Earth” stark im Folk Metal-Bereich. Songs wurden getragen durch akustische Gitarren, folklorisch klingende Instrumente und die sanfte Stimme von Evan Anderson Berry. Seine Art zu singen gleicht eher einem Erzähler als einem Rockstar – solange er Klargesang nutzt. Seine gutturalen Vocals sind dann mehr im Stil Amorphis und Toni Joutsen. Die Band drumherum wird bei all diesen Teilbereichen natürlich auch einbezogen. Die Gitarren diktieren öfter die Melodie als man erwarten könnte, sind aber zuhauf auch in Death– oder sogar Black Metal-Riffs verstrickt. Das Schlagzeug passt sich meist der Stimmung des jeweiligen Songteils an, womit Tempo- und Dynamikwechsel nicht zur Seltenheit werden. Der Bass ist auch überraschend oft hörbar am Klangbild beteiligt und geht nicht im weiten Klangbild der großen Orchestersektionen unter. Oh, ich hatte wohl vergessen zu erwähnen dass Wilderun auch oft auf Bläser, Chöre und im neuen Album auch vermehrt auf Streicher zurückgreifen um die großen Momente ihrer Songs noch größer zu machen.

Wo wir schon beim Thema sind: eigentlich schreiben Wilderun keine Songs, sie schreiben Alben. Jedes Album ist eine gebundene Einheit und herkömmliche Singles gibt es nicht. Klassische Songstrukturen wurden schon bei “Veil Of Imagination” größtenteils aus dem Fenster geworfen und “Epigone” ist noch weniger geradlinig.

Opener Exhaler startet klein und geht nur mit zurückgenommenen Streichern, akustischen Gitarren und der Leitung durch Berrys Erzählerstimme an den Start. Bei meinem ersten Hördurchgang baute der Track starke Spannung in mir auf (auch wenn er isoliert vom Album eher das Gegenteil ausstrahlt): Wann würde das Orchester und die Band einsetzen? Wann kommen die ersten Growls und Blastbeats?

Woolgatherer setzt nahtlos an der ruhigen Atmosphäre des Openers an, entwickelt sich aber schnell zu einem wilden Achterbahnritt der Gefühle. Epische Orchestersektionen, sehr folkish klingende Parts und schwelgende Gitarrenmelodien liefern sich einen regelrechten Schlagabtausch um die Führung des Songs. Zeit dazu haben sie bei der über 14-minütigen Laufzeit des Tracks allemal. Besonders die Folk-Sektionen sind hier sehr gelungen. Wiedererkennbare Motive verteilen sich über das gesamte Lied. Eine genauere Analyse auch nur dieses einen Songs würde den Rahmen dieses Artikels sicher sprengen weswegen ich nun zur Singleauskopplung Passenger übergehe.

Wie oben erwähnt gibt es bei “Epigone” keine Singles im eigentlichen Sinne, aber da die Musikindustrie so funktioniert haben Wilderun trotzdem ein paar Songs im Voraus veröffentlicht. Bei Passenger sogar in der vier Minuten kürzeren “Radio Edit”-Version. Der Song ist auch einer der geradlinigsten der Platte, wenn man denn von sowas wie geradlinig sprechen kann. Denn trotz meiner Aussage besitzt Passenger nicht weniger Tempowechsel, proggige Parts und Twists als der Rest von “Epigone”. Besonders herausstechend sind der Einsatz von klar weiblichem Gesang als partielle Unterstützung (nicht als Hauptsänger à la Nightwish) und das absolute traumhafte Finale. Mich hätte es nicht gestört das als Ende des Albums zu hören.

Wobei wir auch schon bei einem Pseudo-Kritikpunkt sind: Mein Lieblingsteil vom Vorgänger “Veil Of Imagination” war und ist der großartige Klimax der Platte. Bei “Epigone” löst dieser in Form von Distraction Nulla nicht gerade das Höchste der Gefühle in mir aus, sondern lediglich ein “What the fuck?!”. Ich bin grundsätzlich nicht gegen eine solche Reaktion und viele “What the fucks” die ich während dem Hören des Albums hatte, lösten sich meist in einem “Das ist so brilliant!” auf. Ich möchte hier keineswegs spoilern, denn Wilderun-Alben sind wie gute Filme besser ohne großes Vorwissen über deren Ausgang zu genießen, aber das Ende ist doch etwas sehr Spezielles (das eventuell ja im nächsten Album aufgegriffen wird, wer weiß).

Darüber hinaus ist “Epigone” jedoch fantastisch! Wilderun experimentieren hier und da mit elektronischen Elementen die sich perfekt in das Songkonstrukt einfügen und nehmen in Ambition einen Ausflug in die Welt der Ambient Music vor. Innovation mit wunderbarem Storytelling und einem eventuellen Cliffhanger. Langsam klingt der Text hier echt wie ein Film-Review!

Fazit: Mit “Epigone” erschaffen Wilderun ein neues Kapitel in ihrer wunderbaren Welt des symphonischen Folk Metals. Noch erzählerischer und proggiger als Vorgänger “Veil Of Imagination” und mit vielen frischen Ideen entwickeln die Amerikaner hier lebendig ihren Sound weiter und halten den Hörer mit ihrem großen kompositorischen und musikalischen Talent bei mehr als sehr guter Laune. “Epigone” ist ein Album mit mehr Twists und Turns als ein “M. Night Shyamalan”-Film und eine Hörerfahrung wie keine andere!

Von mir gibt es dafür 9 von 10 möglichen Bängs (die 10 von 10 ist an “Veil Of Imagination” vergeben, sorry)!

neun von zehn

”Epigone” erscheint am 7. Januar 2022 via Century Media Records und ist als CD, LP und digitaler Download erhältlich.

Die Band:

Daniel Müller – Bass, Synths, Folk 
Jon Teachey – Drums 
Evan Anderson Berry – Vocals, Guitars 
Wayne Ingram – Orchestrations, Guitars, Folk

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By Elias

Schreiberling aus Leidenschaft, Metal-Enthusiast seit der Schulzeit. Verirrt sich gern in den Tiefen des Prog und bestaunt moderne Ansätze zu Rock und Metal.

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