Am letzten Wochenende fand das erste Streaming-Konzert in der Geschichte der finnischen Symphonic-Metal Institution Nightwish statt. Anstatt ihr im letzten Jahr erschienenes Album „Human :II:Nature“ gebührend live promoten zu können, wurde die Tour coronabedingt mehrfach auf den Spätherbst 2021 verschoben. Im November und Dezember beehren uns Frontfrau Floor Jansen und Ihre Jungs dann hoffentlich endlich live in Deutschland, Österreich und der Schweiz (die voraussichtlichen Tourdaten findet ihr am Ende).
Als kleinen Ausgleich und um die Wartezeit zu verkürzen, wurde Anfang des Jahres bereits der nun stattgefundene „An Evening With Nightwish In A Virtual World“ Streamingauftritt angekündigt.
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Dabei fand der Doppelauftritt am 28. & 29. Mai 2021 in einer virtuellen Welt in der Taverne „The Islander Arms“ statt, die in Valova Studio in Vantaa/Finnland aufgezeichnet wurde.
Kurz vor dem Auftritt lüftete die Band dann auch endlich das Geheimnis, wer den Part am Bass nach dem überraschenden Ausstieg von ihrem langjährigen Bassisten Marco Hietala zu Beginn des Jahres an diesem Abend und für die anstehenden Liveauftritte übernehmen würde. Erneut wurde dabei auf einen Landsmann aus dem Lager der Band Wintersun zurückgegriffen. Nach Kai Hahto, der ja 2019 den ursprünglichen Drummer Jukka Nevalainen nach dessen Ausstieg ersetzte, wurde nun Jukka Koskinen für den Liveposten am Viersaiter (eigentlich war`s ja ein Fünfsaiter) präsentiert. Ob er vollwertiges Mitglied der Band wird, ist zur Zeit noch nicht bekannt.
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Doch nun kommen wir zum eigentlichen Konzert:
Angekündigt als Auftritt in einer virtuelle Taverne, wurde von ZOAN’s Team extra für dieses virtuelle Konzert von Nightwish eine 3D-Umgebung rund um die Taverne „The Islanders Arm“ erschaffen. Nightwish spielten ihren Gig in einem im Green-Box-Verfahren präsentierten großen Glaspavillion, der fließend in den riesigen Baum im Hintergrund der Bühne überging. Tolle 3D-Effekte zauberten einen detailreichen Bühnenhintergrund auf die Leinwand und zeigten auf höchstem Niveau, was heute technisch machbar ist. Die maßgeschneiderte Umgebung und Ausstattung wurde dabei inspiriert durch das Design von Janne „Toxic Angel“ Pitkänen.
Sicherlich dürfte es für die Band recht ungewohnt gewesen sein, in einer völlig sterilen, grünen Umgebung ohne Publikum zu spielen. Doch soviel sei bereits vorab gesagt: als Vollprofis haben sie auch dies mit Bravour gemeistert.
Hier könnt ihr euch die komplette Taverne anschauen, die leider in Ihrer Gesamtheit und Detailfülle während des Konzert so gar nicht zur Geltung kam. Schade eigentlich.
Los ging es erwartungsgemäß mit Klängen und einem Intro in Form von Auszügen des neuen Songs “Music“, gefolgt von der ersten Singleauskopplung “Noise“. Auch Live zündete der Song sofort, und zeigte deutlich, welch hervorragende Kompositionen Mastermind und Ideenfabrikant Tuomas Holopainen mal wieder geschaffen hatte.
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Es folgte in knapp 100 Minuten eine bunte Mischung von alten Klassikern, einigen Livedebüts aus dem “Human. :II: Nature.“-Album und auch einige Songs, die seit mehreren Jahren nicht mehr live performt wurden. Bunt gestreut aus allen Ären, von Tarja über Anette Olzon, wurde das gesamte Spektrum überragender Songs dieser Ausnahmeband präsentiert. Zwischen den Song wurden immer wieder Filmsequenzen aus der Virtual Reality-Welt rund um das “Islanders Arms“ eingespielt, die die Musik auch optisch mit tollen virtuellen Landschaftsbildern untermalten und beinahe etwas nach dem Film “Avatar – Aufbruch nach Pandora“ aussahen.
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Mit „Planet Hell“ kam dann der erste ältere Song zum Einsatz, der seit 2016 nicht mehr gespielt wurde. Der Gesangspart von Marco wurde dabei von Floor übernommen. Leider fehlte hier verständlicherweise etwas die Wucht und der Kontrast von Marcos Gesang.
Mit “Tribal“ folgte das nächste Livedebüt und es wurde etwas gespenstisch. Mit urgewaltigen „Hu Ha“-Urschreien duellierten sich Floor und Troy und schafften eine leicht düstere Stimmung. Der Song gefiel mir live viel besser als auf der CD, wo ich anfangs etwas Probleme damit hatte. Bei “Elan“ kam dann die zuckersüße Seite von Nightwish zum Vorschein, gefolgt von “Storytime“ , einem der wohl besten Songs von Anette, bevor es mit “She is my Sin“ zurück in die Anfangstage und zu Tarja ging.
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Danach übernahm Troy den Posten am Mikro und präsentierte mit “Harvest“ den sehr stark irisch und traditionell angehauchten Song von der aktuellen Scheibe, bei dem er sich auf seiner Uilleann Pipes richtig austoben konnte. Floor begleitete ihn dabei gekonnt als Backgroundsängerin.
Bei “Seventh Days of Wolves“ tauschte Troy dann die Pipes gegen die Mandoline und verlieh dem Song so einen leicht orientalischen Touch.
Nach Ihrem wohl größten Hit aus der Tarja-Phase „Nemo“ wurde es dann etwas ruhiger. Floor präsentiert den neuen Song “Hows the Heart?“ in einer tollen Acoustic-Version. Zunächst nur von Troy an der Akustikgitarre begleitet, stieg zum Ende die ganze Band mit in den Song ein und machte ihn zu einem der Highlights des Auftritts – Überragend!
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Gleich im Anschluss folgte mit „Shoemaker“ das nächste Livedebüt. Auch hier übernahm Multiinstrumentalist Troy die Backing-Vocals und zeigte, dass er nicht nur mit seinen Fingern brillieren kann. Wenn sich auch seine Stimmlage im Vergleich zu Marco stark unterschied, machte er trotzdem einen tollen Job und verlieh den Songs eine ganz neue Klangfarbe. Höhepunkt des Songs war der arienhafte Soloauftritt von Floor am Ende, bei der sie in bester Opernmanier beinahe die Gläser im Schrank zum springen brachte – göttlich.
Jukka, der neue Mann am Bass blieb leider während des Gigs sehr dezent im Hintergrund, lieferte zwar einen soliden Beitrag zum guten Gelingen des Auftritts. Leider hatte er bei Weitem nicht die Ausstrahlung eines Marco Hietala, zumal er sich auch rein auf das Bassspielen konzentrieren und keine Gesangspart übernehmen musste/durfte. Hier bleibt für die Zukunft die Frage, wie die Lücke von Marco adäquat geschlossen werden kann. Obwohl Floor viele Parts einfach zusätzlich übernahm, fehlte mir persönlich schon etwas der stimmliche Kontrast zu Marco’s Gesang, der normalerweise an vielen Stellen für die nötige Würze in den Songs sorgte.
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Bei „Last Ride of the Day“ wurde dann das Gaspedal nochmals durchgedrückt, bevor mit dem inzwischen fest in der Setlist etablierten “Ghost Love Score“ nochmals die Orchesterparts ausgepackt wurden und die Symphonic-Fraktion voll auf ihre Kosten kam. Das Ganze sollten Nightwish mal irgendwann mit einem Orchester live aufführen, das wäre mal ein ganz persönlicher Wunsch von mir.
Den letzten Song des Auftritts bildete dann nicht ganz überraschend Nigtwish’s überlanger Monumentalsong “ The Greatest Show on Earth“, der wie jedesmal zum krönenden Abschluss eines Konzertes der Finnen wurde. Hier schlug auch die Stunde von Tuomas, der seinen großen Auftritt zusammen mit Troy hatte. Leider waren die Orchesterparts nur vom Tonband eingespielt, trotzdem waren Tuomas Keyboards zusammen mit Troys Gitarrenarbeit der reinste Genuss für die Ohren eines jeden Nightwish-Fans. Der Einsatz des E-Bows an Troys Gitarre schuf hier einen ganz besonderes Klangerlebnis. Dazu dann die Sopranstimme von Floor und fertig war das Meisterwerk. Nach Floors erneutem Ausflug in opernhafte Höhen stimmte Troy mit seinem „HuuHuuHuu“-Gesang ins Duett ein und sie beschloßen das Finale Grande des Songs mit dem obligatorischen „We were here“ ein. Bombast pur.
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Das endgültige Ende des Auftritts leitete dann die Erzählerin mit dem Schlusssong “Ad Astra“ von der zweiten CD von “Human. :II: Nature.“ und dessen Gesamtwerk „All the Works of Nature Which Adorn the World“ ein. Beim Finale umarmten und klatschten sich alle Musiker nach ihrem fantastischen Auftritt ab und genossen auf dem Boden sitzend gut gelaunt ein Schlückchen aus ihren Tonkrügen, bevor Floor nochmal die Stimme erheben und live den Vocal-Part des Schlusssongs singen durfte.
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Danach legte auch das geparkte Luftschiff vom „Islanders Arm“ endgültig ab und machte sich auf die Reise in eine neue Welt…
Für den Auftritt am zweiten Tag wechselte Floor dann ihr Outfit und es wurde wie angekündigt die Setlist etwas durcheinander gewürfelt, auch wenn das Grundgerüst bis auf die Reihenfolge ähnlich blieb und sich einige Songs überschnitten. Von den neuen Songs von “Human. :II: Nature.“ wurde nur “Shoemaker“ durch “Pan“ ersetzt und “Hows the Heart?“ diesmal in der Album-Version mit kompletter Band präsentiert. Mir persönlich gefiel die Acoustic-Version von Tag 1 sogar etwas besser.
Auch bei den älteren Songs gab es einen albumidentischen Austausch: “Bless the Child“ wurde durch “Ever Dream“ ersetzt und “Elan“ musste “Alpenglow“ weichen.
Gerne hätten noch mehr Unterschiede in den Setlist sein können, denn der Backkatalog der Finnen hat durchaus den ein oder anderen Klassiker mehr wie z.B. „Wishmaster“ auf Lager gehabt. Optisch und in Bezug auf die virtuelle Welt unterschieden sich die beiden Auftritte wenig bis gar nichts (zumindest ist mir nichts groß aufgefallen) … bis auf Floors Kleid.
Schade nur dass mein Favorit „Procession“ von aktuellen Album nicht noch am 2. Tag zum Liveeinsatz kam. Aber das kann ja noch auf der hoffentlich stattfindenden Herbsttour live nachgeholt werden.
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Fazit:
Insgesamt ein sehr gelungenes Doppel-Livestream-Konzert, welches sich insgesamt nach Angaben der Band über 150.000 Nightwish-Fans in 108 Ländern angeschaut haben. Keine schlechte Bilanz für die Band und sicherlich auch eine gute Einnahme, wenn auch der technische Aufwand nicht zu vernachlässigen sein dürfte. Für die 25€ (bei frühzeitiger Buchung) für beide Auftritte war das mehr als fair und lies für die meisten wohl keine Wünsche offen. Für 12,50 € kommt man ja heutzutage teils nicht mal mehr zu einem Blockbuster ins Kino.
Auch wenn ich blöderweise erst kurz vor dem Gig mein Ticket für einen deutlichen Aufschlag gelöst habe, hat mich der Auftritt begeistert und mir zwei Abende mit toller Musik und entsprechender optischer Untermalung beschert, wenn man schon zur Zeit noch keine Konzerte live besuchen kann. Positiv aufgefallen ist mir, dass auch endlich mal eine dem Event entsprechende Spielzeit von jeweils 100 Minuten geboten wurde, nicht wie bei vielen anderen Streams, wo schon nach 60-70 Minuten Schicht im Schacht ist.
Gesangstechnisch hat mir Floor vor allem beim ersten Auftritt um Welten besser gefallen wie auf dem letzten Livealbum, was mich nicht ganz überzeugen konnte. Troys vielseitiges Talent an Flöte, Pipes, Gitarre und was sonst noch alles für Instrumenten zeigte, dass es wohl eine der besten Entscheidungen in der Bandhistorie war, ihn als festes Bandmitglied aufzunehmen. Brachte er doch seit seinem Einstieg eine Vielzahl neuer musikalischer Ideen und Elemente in die Song, die sich perfekt mit den kompositorischen Qualitäten von Tuomas ergänzen und besonders live eine ungeheure Bereicherung für die Songs der Band darstellen. Auch was seine Livepräsenz betrifft, hat er sich in den letzten Jahren von dem früheren Backgroundmusiker zwischenzeitlich stark in den Vordergrund gespielt, und steht inzwischen auf gleicher Stufe zu seinem Gitarrenkollegen Emppu Vuorinen.
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Insgesamt hätte noch etwas mehr Kommunikation zwischen den Bandmitgliedern zwischen den Songs stattfinden oder auch das ein oder andere Wort an die Zuschauer gerichtet werden können. Das hätte die ganze Sache noch etwas lebendiger wirken lassen, wenn schon das Publikum in der Greenbox fehlte.
“An Evening With Nightwish In A Virtual World“ war eine tolle Veranstaltung, die wieder mal zeigte, dass Nightwish sicherlich zu den wenigen „großen“ Bands im (neueren) Metalgenre gehören, die den Sprung in die Championsleague des Rock- und Metal schaffen können (bzw. schon geschafft haben), um die Nachfolge der Urväterbands unserer Musikrichtung und der Superseller-Bands mal zu übernehmen. Überragende Songs und erstklassige Musiker – diese Kombination findet man nicht überall. Bleibt zu hoffen, dass der Ausstieg von Basser und Sänger Marco Hietala künftig auch so gut weggesteckt werden kann, wie der abermalige Wechsel am Micro zwischen Tarja, Anette und Floor.
Ich freue mich schon jetzt (und noch mehr wie vor dem Event letzte Woche) auf die Nightwish-Tour im Herbst, den das Liveerlebnis kann auch dieser gute Stream dann doch nicht ersetzen.
Von mir gäbe es 9,5 von 10 Bängs für dieses Doppelevent (wenn wir auch Gigs bewerten würden)
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Eine Sache bleibt allerdings noch offen und hat mich etwas verwundert:
Warum kam keiner der Musiker/in ins Schwitzen, normalerweise läuft doch schon nach dem 3. Song der Schweiß in Strömen? Wurde das Konzert etwa nicht in einem Rutsch gespielt und doch im Nachgang zusammengeschnitten? Oder ist in der Greenbox einfach weniger Licht und damit die Temperatur niedriger?
Setlist Day 1:
Music (Intro, nur teilweise)
Noise (Live Debüt)
Planet Hell (Erstmals live seit 2013. Floor on Vocals)
Tribal (Live Debüt)
Élan
Storytime (Erstmals live seit 2016)
She Is My Sin (Erstmals live seit 2016)
Harvest (Live Debüt)
7 Days to the Wolves (Erstmals live seit 2016)
I Want My Tears Back
Bless the Child (Erstmals live seit 2016)
Nemo
How’s the Heart? (Acoustic Version, Floor und Troy )
Shoemaker (Live Debüt)
Last Ride of the Day
Ghost Love Score
The Greatest Show on Earth
All the Works of Nature Which Adorn the World: Ⅷ. Ad Astra (Floor mit Live Vocals)
Setlist Day 2:
Music (Intro nur teilweise)
Noise
Planet Hell
Alpenglow (Erstmals live seit 2016)
Élan
Storytime
How’s the Heart? (Live Debüt, Album Version)
Harvest
Dark Chest of Wonders
I Want My Tears Back
Ever Dream (Erstmals live seit 2016)
Nemo
Sleeping Sun (Erstmals live seit 2016)
Pan (Live Debüt)
Last Ride of the Day
Ghost Love Score
The Greatest Show on Earth
All the Works of Nature Which Adorn the World: Ⅷ. Ad Astra (Floor mit Live Vocals)
NIGHTWISH – EUROPEAN TOUR 2021
Special Guest: AMORPHIS
Support: TURMION KÄTILÖT
17.11. IE Dublin – 3Arena
18.11. UK Birmingham – Resorts World Arena
22.11. NL Amsterdam – Ziggo Dome
23.11. NL Amsterdam – Ziggo Dome
24.11. LU Luxembourg – Rockhal
25.11. DE Dusseldorf – ISS Dome
27.11. DE Leipzig – Arena
28.11. PL Gliwice – Arena
30.11. HU Budapest – Budapest Sportaréna
02.12. DE Stuttgart – Hanns-Martin-Schleyer-Halle
03.12. IT Milan – Lorenzini District
05.12. DE Bamberg – Brose Arena
06.12. CH Zurich – Hallenstadion
07.12. FR Paris – AccorHotels Arena
09.12. DE Frankfurt – Festhalle
10.12. BE Antwerp – Lotto Arena
13.12. UK London – SSE Arena Wembley
15.12. DE Munich – Olympiahalle
17.12. DE Hamburg – Barclaycard Arena
19.12. AT Vienna – Stadthalle (Club Version)
20.12. CZ Prague – o2 Arena
21.12. DE Berlin – Max-Schmeling-Halle
Die Tour wird präsentiert von Contra Promotion GmbH
NIGHTWISH sind:
Floor Jansen Gesang
Emppu Vuorinen Gitarre
Tuomas Holopainen Keyboard
Troy Donockley Gitarre, Mandoline, Uilleann Pipes,Tin Whistle
Kai Hahto Schlagzeug
Jukka Koskinen Bass
Foto-Credits: © Nightwish