Sodom: Agent Orange – Ein chemischer Agent gegen das Volk?

Geschichte – Nur wenige Themengebiete, außer vielleicht Herr der Ringe, werden so oft im Metal behandelt. Aber was steckt hinter Liedern wie „Run to the Hills“, „1916“ oder „Tirpiz“? Diese Rubrik stellt den historischen Hintergrund in unseren Lieblingssongs genauer dar und liefert die eine oder andere Hintergrundinfo und historische Einordnung.

1989 veröffentlichten Sodom ihr drittes Album Agent Orange. Hat die gute Scheibe inzwischen schon einige Jahre auf dem Buckel, so ist sie doch sehr gut gealtert. Das titelgebende Stück Agent Orange verarbeitet dabei einen Aspekt des Vietnamkriegs, der bis heute nachwirkt, wodurch Sodom eine zeitlose Mahnung der Folgen eines Krieges für die Zivilbevölkerung schufen.
Und so lohnt sich doch einmal ein genauer Blick auf den historischen Hintergrund sowie eine, heute immer noch aktuelle, Einordnung dieses musikalischen Meisterstücks.

Wir schreiben das Jahr 1961. Seit 1955 herrschte in Vietnam als Folge des Unabhängigkeitskampfes gegen die französische Kolonialmacht ein brutaler Krieg. Nach der Teilung des Landes erhielt der kommunistische Norden Unterstützung von der Sowjetunion und China. Nur logisch, dass sich, ganz im Zeichen des kalten Krieges, die USA auf die Seite des Südens schlug.1
Im Frühjahr 1961 reiste der US-Vizepräsident Lyndon B. Johnson nach Südvietnam und verhandelte über Unterstützung. Hierbei plante man auch ein militärisches Entwicklungs- und Testzentrum des Pentagons in Südvietnam. Ziel war das Erforschen neuer Strategien gegen Aufständische, unter Anderem auch der Einsatz von Herbiziden im Krieg. 2 Für das Testen eigneten sich ideal die großflächigen Wälder Vietnams!

Operation Ranch Hand
Spray down the death
Down on their farms
Assault against the population
Suppress by military arms
Sodom-Agent Orange

Am 13. Januar 1962 begann dann, nach vorherigen eingehenden Tests, die Operation „Ranch Hand“. Sie zielte darauf ab, durch großflächigen Einsatz von Herbiziden die Ernteerträge der nordvietnamesischen Bevölkerung zu zerstören. Die militärische Zielsetzung war es, die Bevölkerung zu demoralisieren und dazu zu nötigen, ihre Unterstützung für den Gegner zu beenden.3 Das Nationalmuseum der US-Air Force benennt heute stattdessen als Ziel lediglich das Freiräumen von Transportwegen sowie der Entzug von Nahrungsmitteln für den Feind. 4 Was zunächst nach einem „normalem“ militärischem Vorgehen klingt, entpuppte sich bei genauerer Betrachtung als ein unvorstellbares Verbrechen an der zivilen Bevölkerung durch das US-Militär.
Bereits ab 1966 gab es Hinweise darauf, dass ein Kontakt mit dem sowohl in der heimischen Landwirtschaft als auch in Vietnam eingesetzten Herbizid mit dem schönen Namen 2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure, kurz 2,4,5-T, sowohl bei Tieren als auch Menschen schwere Gesundheitsschädigungen und Fehlbildungen bei Neugeborenen verursachen konnte. So wurde der Gebrauch in der amerikanischen Landwirtschaft zunächst eingeschränkt und ab 1979 verboten. 5
Beim Einsatz in Vietnam erhielt ein Herbizid, welches 2,4,5-T und weitere dioxinhaltige Stoffe enthielt, schließlich den Namen „Agent Orange“.
Insgesamt versprühte die US-Air Force von 1961 bis 1971 fast 72 Millionen Liter Herbizide großflächig über Vietnam, davon 45 Millionen Liter „Agent Orange“. 6

US-Army-APC-spraying-Agent-Orange-in-Vietnam

Versprühen von Agent Orange in Vietnam
Foto: US Army

All the marks erased long ago
Scars are healed up
Cancer creeps into their innocent souls
Memorials of flesh and blood
Have survived unlawfully punished
Poisoned till the end of their lives
Physical deformity
What medicine will help?
Still births will rise

Sodom – Agent Orange

Die Zerstörung der Pflanzenwelt betrug je nach Region bis zu 50% der Vegetation. 7
Die Zivilbevölkerung wurde teilweise direkt beim Sprühen von Agent Orange durch das US-Militär getroffen. Was nach dem Abzug der US-Truppen blieb, war das unsichtbare Gift im ganzen Land. Die im Agent Orange enthaltenen hochgiftigen Stoffe nimmt die Bevölkerung bis heute durch die Umwelt, etwa durch kontaminiertes Wasser oder durch den Kontakt mit Böden, auf. 8
Neben dem Leid der Bevölkerung durch Bombardierungen, Napalm und weiteren Gräueln des Krieges, welche ihre Narben im Land hinterließen und das Bild des Vietnamkriegs bis heute prägen, kommt durch den Einsatz von Agent Orange ein weiterer grausamer Aspekt hinzu. Bis heute wütet damit a fire that doesn’t burn.

Agent Orange Deformities (3786919757)

Ursache für die Fehlbildungen dieses Mannes sind sehr wahrscheinlich der Kontakt der Mutter mit Agent Orange während der Schwangerschaft.
Foto: Labrador, E.


Neben den etwa 2,4 Millionen US-Veteranen 9 , kamen zwischen 2 und 4,8 Millionen Vietnamesen ebenfalls in Kontakt mit Agent Orange, darunter viele am Krieg unbeteiligte Zivilisten. Heute sind die Menschen Mahnmale des Krieges aus Fleisch und Blut. Schätzungsweise 100.000 Kinder wurden mit Behinderungen aufgrund der Dioxine geboren.
Jaeggi (2023) berichtet etwa von der Journalistin Tran To Nga, die mehrfach von Agent Orange direkt getroffen wurde. Eine Tochter starb bereits mit nicht mal eineinhalb Jahren an einem Herzfehler. Ihre zweite Tochter leidet bis heute an einer angeborenen körperlichen Behinderung sowie unter der gleichen unheilbaren Blutkrankheit wie ihre Mutter. Andere Kinder, etwa von vietnamesischen Soldaten, starben bereits in jungem Alter an Krebs. 10
Über die Anzahl der aus Dioxinvergiftung resultierenden Fehlgeburten lassen sich keine Schätzungen finden, sie dürften aber auch nur schwer zu erheben sein.

They are deprived of their power
Eradication without law

Sodom – Agent Orange

Durch die Haager Landkriegsordnung ist der Einsatz von chemischen und biologischen Waffen untersagt.. Die US-Regierung wies jedoch mit der Begründung, es handele sich ja um einen Einsatz gegen Pflanzen und nicht gegen Menschen, alle Vorwürfe von sich.

Vicious circle of transmission
There’s no way for reparations
Must live with chemical agent called Agent Orange

Sodom – Agent Orange

Festzuhalten bleibt, dass das durch Agent Orange verursachte Leid in Vietnam bis zum heutigen Tag, in der inzwischen dritten Generation nach dem Krieg, andauert.
Eine Verantwortungsübernahme, geschweige denn daraus resultierende Reparationszahlungen für die Millionen Geschädigten in Vietnam, lehnen die USA bis heute ab. Interessanterweise wurden jedoch an US-Veteranen des Vietnamkriegs nach einer außergerichtlichen Einigung aus einem Fond der Herstellerfirmen von 2,4,5-T hohe Beträge gezahlt. 11 In Vietnam erfolgt dahingegen lediglich in den letzten Jahren der Versuch bzw. die Planung der Dekontamination von einigen verseuchten Böden, etwa in der Umgebung ehemaliger militärischer Basen. Auch fließen einige Fördergelder an vietnamesische Behindertenorganisationen. 12 Eine Sammelklage von Geschädigten in den USA wurde 2005 jedoch abgelehnt. Die Definition des Agent Orange als chemische Waffe zum Kriegseinsatz gegen die Bevölkerung Vietnams wird somit wohl eine Frage der Perspektive bleiben. 13
Abschließend kann gesagt werden, dass der chemischen Agent Agent Orange auch in der Zukunft ein Teil des Lebens der vietnamesischen Bevölkerung sein wird, solange die toxischen Dioxine in den Böden und Gewässern Vietnams verbleiben.

Ihr möchtet Euer Lieblingslied auch mal aus historischer Sicht betrachtet sehen? Dann schickt jetzt Euren Vorschlag an die Mail andi.l@rockmagazine.net!

Fußnoten:

  1. Schneider, Toyka-Seid, 2025 ↩︎
  2. Berendt, 2009, S. 12 ↩︎
  3. Berendt, 2009, S. 7-12 ↩︎
  4. [Autor unbekannt] National Museum of the United States Air Force, Jahr unbekannt ↩︎
  5. Berendt, 2009, S. 9f. ↩︎
  6. Langels, 2017 ↩︎
  7. Faludi, 2018, S.7f ↩︎
  8. Jaeggi & Schmid, 2023 ↩︎
  9. Faludi, 2018, S.8 ↩︎
  10. Jaeggi & Schmid, 2023 ↩︎
  11. Freund, 2021 ↩︎
  12. Langels, 2017 ↩︎
  13. Freund, 2021 ↩︎

Quellen

  • Berendt, Isabell (2009): Der Einsatz von Agent Orange während des Vietnamkriegs in den 1960er Jahren: Die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Hamburg: Diplomica Verlag
  • National Museum of the United States Air Force (o. D.): Down in the Weeds: Ranch Hand. National Museum Of The United States Air Force.
    Link: https://www.nationalmuseum.af.mil/Visit/Museum-Exhibits/Fact-Sheets/Display/Article/195955/down-in-the-weeds-ranch-hand/ (04.06.2025)
  • Toyka-Seid, G. S. /. C. (2023): Vietnamkrieg. bpb.de.
    Link: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/321344/vietnamkrieg/#:~:text=Kampf%20zwischen%20Nord%2D%20und%20Vietnam&text=Von%201955%20bis%201975%20gab,einem%20Krieg%20zwischen%20beiden%20Landesteilen (04.06.2025)
  • Jaeggi, P. /Schmid, R. (2023): Böden, Wälder, Flüsse – alles ist vergiftet. Amnesty International. Link: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/vietnam-vietnamkrieg-usa-agent-orange-vergiftung-dioxin-spaetfolgen-boeden-waelder-fluesse-alles-ist-vergiftet (04.06.2025)
  • Langels, O. (2017): „Agent Orange“ im Vietnamkrieg – Der größte Chemie-Angriff der Geschichte. Deutschlandfunk Kultur. 
    Link: https://www.deutschlandfunkkultur.de/agent-orange-im-vietnamkrieg-der-groesste-chemie-angriff-100.html (04.06.2025)
  • Freund, A. (2021): Agent Orange – das bleibende Gift. dw.com. 
    Link: https://www.dw.com/de/agent-orange-der-lange-schatten-des-vietnamkriegs/a-57459748 (04.06.2025)
  • Faludi, L. (2015). Die Langzeitwirkungen von Agent Orange. Veröffentlicht in: Südostasien 04/2015: Kissingers Erbe. Großmachtpolitik und ihre Langzeitwirkungen in Südostasien. S.7-8.
    Link: https://hasp.ub.uni-heidelberg.de/journals/soa/article/view/2889/2988 (04.06.2025)
  • Labrador, E.(2015): Agent Orange Deformities. Veröffentlicht auf: Wikimedia Commons.
    Link: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File:Agent_Orange_Deformities_(3786919757).jpg&oldid=1035159653&uselang=de (04.06.2025)
  • US Army (1960s): U.S. Army armored personnel carrier (APC) spraying Agent Orange during the Vietnam War. Veröffentlicht auf: Wikimedia Commons
    Link: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File:US-Huey-helicopter-spraying-Agent-Orange-in-Vietnam.jpg&oldid=912899945&uselang=de (04.06.2025)

By Andi L

Angefangen jugendlichen Einstiegsklassikern bin ich inzwischen meist in härteren Gefilden hängen geblieben. Insbesondere qualitativ guter Black Metal (bitte keine Kasettenrekorder!) und dessen sanfter Ableger Blackgaze haben es mir hierbei angetan, vor allem atmosphärische Bands wie Saor, Der Weg einer Freiheit, Heretoir, Ellende, Helrunar oder Ghaals Wyrd. Ab und zu muss aber auch mal draufgehauen werden. Marduk, verdammte Sch**ße!! Mich mag so mancher True Black Metaler verteufeln aber es geht auch nichts über gute Breakdowns aus dem Core-Lager, wobei die Bands sich irgendwo zwischen Agnostic Front, Heaven Shall Burn, TAIM und (Schande über mein Haupt) Electric Callboy bewegen. Daneben kann ab und zu auch ein Blick über den Tellerrand nicht schaden und so fliegen auch immer wieder Platten von Wintersun, Iron Maiden, Pink Floyd oder Jonny Cash und weiteren über den Plattenteller. Ja, Plattenteller, denn ich liebe schwarzes Gold auf meinen Technics!

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