Ich treffe die Band LAUTSTÆRKE in ihrem Proberaum bei Euskirchen.
RM: Schön, dass Ihr Euch Zeit für dieses Interview genommen habt. Könnt Ihr Euch als Band kurz vorstellen?
Tim: Wir sind die Band LAUTSTÆRKE und machen seit 2017 Deutschrock mit Einflüssen von Punk und Metal. Wir legen uns nicht gerne fest, sondern spielen das, was im Kontext und zur Stimmung der Songs passt.
Marco, Tobi und ich haben als Dreiergruppe angefangen. Tobi und ich haben schon in einer anderen Band zusammen Coversongs gespielt und Tobi und Marco kennen sich von der Arbeit. Andre trafen wir auf einer Fete, wo er am Lagerfeuer sang. Wir luden ihn zum jammen ein und dabei hat er uns auch gleich den ersten Song vorgestellt, den er machen wollte. Zuletzt kam Marvin dazu, den Tobi auf einer Zeltveranstaltung kennenlernte.
Marvin: Ich habe da gearbeitet und (auch) am Lagerfeuer Gitarre geklimpert. Tobi dachte wohl: OK, wenn der Akkorde greifen kann, dann kann er auch Bass spielen und hat mich direkt angesprochen. Und so bin ich hier im Proberaum gelandet.
Tim: Ein halbes Jahr später haben wir unsere erste EP Zurück zu Dir aufgenommen und suchten nach Auftrittsmöglichkeiten, was gar nicht einfach ist, wenn man als Band noch nicht so bekannt ist. Bei Rock am Ring gab es einen Contest von Radio bigFM, wo wir uns als eine von neun Bands gegen 800 Bewerber durchsetzen konnten. Wir haben da Samstags auf der Lidl Stage gespielt. Unser Ziel war es, bis zum Ende des Jahres ein Album zu veröffentlichen und Andre hat an die 50 Songideen rausgehauen. Wir haben die besten Stücke ausgewählt, arrangiert und Songs daraus gemacht.
Marco: Ungefähr 99% der Texte und Melodien kommen von Andre. Er ist sehr kreativ. Zur Entscheidungshilfe, welche Stücke auf das Album kommen, luden wir Freunde ein, mit denen wir die Songs ganz demokratisch aus 30 Demos ausgewählt haben. Deswegen ist da auch eine sehr große Mischung drin.
Tobi: Ich denke aber schon, man hört eine Linie in unserer Musik heraus. Die haben wir nach der EP nun auch im Album fortgesetzt.
RM: Habt ihr das Album im Studio aufgenommen oder hier?
Marco: Teils teils. Die Schlagzeug-Spuren wurden im Studio aufgenommen. Wie schon bei der EP haben wir wieder mit Frederic Gieselbach zusammen gearbeitet.
RM: André, fängst Du mit der Melodie oder mit dem Text an, wenn Du einen Song schreibst?
André: Immer erst die Melodie, manchmal fallen mir direkt schon Textteile dazu ein. Teilweise sind sie autobiografisch, aber es gibt auch Situationen, wo ich einfach versuche, mich in andere Menschen hineinzuversetzen. Es geht ja auch oft um Themen, die vor Corona in der Gesellschaft aktuell waren, wie z.B. die Flüchtlingswelle.
Track by Track Album „Vom morgen danach“
Hilf mir
André: Ich wollte mich mit dem Thema aus der Ich-Perspektive beschäftigen. Mich fragen, wie geht es demjenigen, der da gerade um sein Leben kämpft? Der Text sollte in gewisser Weise auch schockieren.
Marco: Wir liegen da am Strand in unserem Jahresurlaub, sind mit All Inclusive gerade mal so zufrieden und übers Meer kommen Leute, die versuchen, ihr Leben zu retten. Die saufen gerade ab und wir stehen da mit einem Longdrink in der Hand und denken wohl möglich, jetzt vermiesen DIE uns auch noch die Laune. Darum geht es in dem Song, ohne das wir mit dem Finger auf Andere zeigen oder sie belehren wollen.
André: Mir kam die Idee tatsächlich in Spanien im Urlaub. Ich dachte, was machst Du hier eigentlich – ein paar Meter weiter sterben Menschen. Da hat es bei mir klick gemacht. Der Song soll uns selbst und andere motivieren, mal darüber nachzudenken. Wir packen uns da auch an die eigene Nase und hoffen, dass der Song gehört wird. Er soll eine Art Weckruf sein. Wenn wir es schaffen, die Leute damit zum Umdenken zu bringen, dann ist der erste Schritt schon getan.
Marco: Von der Botschaft her ist das unser wichtigster Song auf dem Album. Etwas zu tun bedeutet für uns einerseits, klar Stellung zu beziehen und nicht populistisch zu wählen, andererseits die Menschen wahrzunehmen, die tatsächlich in Notsituationen sind. Ich glaube, viele Leute aus unserem Umfeld, die Hilf mir schon gehört haben, hatten eine Gänsehaut und waren wirklich berührt, weil Andi es sehr gut geschafft hat, die Stimmung mit dieser Ich-Perspektive einzufangen.
Nie wieder
Marco: Das ist auch ein Song, der die Leute anregen soll, über sich selbst nachzudenken. Man ist ja immer sehr stark in seinen Alltag eingebunden und manche lassen sich durch Drogen oder Alkohol gern davon ablenken – Brot und Spiele sage ich immer. Das Kernthema des Songs ist, das man sich auch gerne selbst belügt und betrügt.
André: Als ich den Song geschrieben habe, dachte ich tatsächlich an Amy Winehouse oder Kurt Cobain, die irgendwann in ihrem eigenen Sumpf versunken sind und sich dann in einem Teufelskreis befanden.
Tim: Es müssen auch nicht immer Drogen sein, aber irgendwelche Süchte oder Bedürfnisse müssen immer gestillt werden, damit man seinen Alltag durchsteht.
Nichts zu verlieren
Marvin: Hier geht es darum, das man immer in eine Richtung läuft, in sein Verderben. Und das man eigentlich nichts mehr zu verlieren hat, wenn man in diesem Sumpf einmal drin ist.
Tim: Für mich sagt der Song, man sollte ein bisschen auf die Zwänge der Gesellschaft pfeifen und tun, was man möchte. Dann hat man nichts zu verlieren. Trau Dich was, das ist Deine Chance!
RM: Das sind aber schon sehr unterschiedliche Ansätze. Bei Dir Marvin klingt da eher etwas Verzweiflung mit, bei Tim ist das total positiv. Ich finde es toll, wenn ein Text so offen ist, das da jeder eine eigene Botschaft findet.
Marvin: Das meinte ich eigentlich eher positiv, wenn man in Richtung Verderben läuft. Dann hat man nichts mehr zu verlieren und damit auch einfach einen Grund, etwas zu ändern.
Egal
André: Egal ist der „Bruder“ von Nichts zu verlieren, die gehören irgendwie zusammen. Da werden Charaktere aufgezählt, die der Ich-Erzähler gern sein würde, aber keine große Lust hat, dafür etwas zu tun, weil es eh keinen interessieren würde. Da ich die Welt nicht ändern kann, lasse ich es einfach und liege lieber in der Sonne.
Marco: Ich finde es cool, das Andre auch das Kontra beleuchtet hat, also nicht den Soldaten, der Jemanden umbringt, sondern der zu seinem Feind geht und ihn in den Arm nimmt. Um mal zu aufzuzeigen, wie krank das ist, was die Gesellschaft da macht.
Unmagnetisch
André: Der Song ist sogar fast autobiographisch, aber nicht, weil ich mal mit einer Tussi zusammen war, das gleiche könnt ich auch über einen Mann singen. In meinem Umfeld gibt es tatsächlich so ein bis zwei Leute, die mich mit ihrem Luxus auf die Palme bringen. Man kann sich ja mal was gönnen, aber das immer an den großen Nagel zu hängen… . Da habe ich irgendwann gesagt, jetzt reicht es. Diesmal zeige ich wirklich mit dem Finger drauf, weil es mich gar nicht interessiert, was sie für neue Schuhe haben. Hinter dem Text stehe ich zu 100%, ich werde schon wieder böse, wenn ich nur davon rede.
Lautstärke
André: Diesen Song haben wir zwei Jahre vorher zwar schon live gespielt, er wurde aber noch am Aufnahmetag komplett überarbeitet.
Marco: Der war für uns eigentlich der flachste Song auf dem Album. Ich habe noch die alte Version eingespielt und die Jungs haben ihn dann in der jetzigen Form finalisiert.
Tim: Der macht Gute-Laune und war auch unsere erste Single von dem Album.
Marvin: Ich finde es gut, das beide Versionen des Songs kombiniert wurden.
Nebel
Tobi: Den etwas düsteren Titel haben wir auch schon vor längerer Zeit geschrieben. Andre ließ sich auf einer Probe von einem coolen Riff zu dieser Melodie inspirieren. Den kompletten Song haben wir ganz klassisch zusammen entwickelt.
Storys von vorgestern
André: Stories von Vorgestern hat auch etwas mit Smartphones zu tun. Die Botschaft ist: Redet miteinander! Seid menschlich! Trefft euch! Nicht nur über Skype und Handy. In der Band klappt das schon ganz gut. Wir kommunizieren zwar leider auch viel über Handy, aber wenn wir hier im Proberaum sind, legen wir die auch gerne weg.
Indien
Tobi: Das Lied war ursprünglich als schneller Song von Andre geschrieben worden. Durch einen Fehler von mir wurde alles um 50 bpm langsamer. Wir fanden das dann viel cooler, und so ist es jetzt ein ruhigere Nummer. Da ist viel Liebe zum Detail drin – ein Song für Musiker.
Marvin: Andre meinte, das Intro geht gar nicht, aber wir fanden doch! Ich glaube, das ist das experimentellste Lied auf der Platte geworden.
André: So wie das Intro hören sich irgendwie alle an, die nach Indien klingen möchten. So eine Klischee-Keule. Auf jeden Fall sehr atmosphärisch der Song.
Marvin: Ich glaube, das Andre den wesentlich stereotypischer hört, als er tatsächlich ist. Für mich hörte es sich an, als würde einer eine Zither spielen.
Marco: Aber ich glaube, das ist einer der Geheimfavoriten auf dem Album!
RM: Und vom Text?
André: Viele sagen, ich verstehe den Text nicht… Ja, Du warst ja auch noch nie in Indien.
Marco: Das ist wirklich einer von den Songs, die jeder selber interpretieren muss. Wir sind gespannt, was du ihn im siehst.
Vermissen
Marco: das ist mein geheimer Favorit. Ganz was andres, eine langsame Nummer, eine Ballade halt, die einen mit auf eine Reise nimmt.
RM: Eine Reise wohin?
André: Eigentlich ein Abschiedssong. Ein Typ schreibt einen Abschiedsbrief und geht danach ins Wasser. Im Text wird der Inhalt des Briefes erzählt.
Gemeinsam untergehen
Marco: Das Stück hat eine Endzeitstimmung und ist von Einigen hier der Favorit. Mit „Dein Profil stets aufpoliert, fröhlich lächelnd konstruiert“ geht er auch in Richtung Social Media.
André: Für mich ist das eine Art Neuanfang. Es ging zuerst in Richtung Arche Noah. Aber das war uns dann doch zu christlich. Die Menschen sollen aus ihrer Scheiße lernen und einen Neuanfang machen. Die Strophen sind mit die geradlinigsten und eindeutigsten, die wir haben auf dem Album. „Ist Deine Würde antastbar, wirst Du ganz schnell zum Superstar“. Klare Botschaften, über die man nicht nachdenken muss und wo sich jeder seine eigene Meinung bilden kann.
Tobi: Die altdeutsche Schrift im Video haben wir absichtlich ausgewählt, um zu provozieren. Der ganze Song geht auch gegen den Nationalstolz.
Tim: Mit der Dissonanz zwischen Schrift und Text wollten wir bewusst zum Nachdenken anregen.
Kunst
André: Bei diesem Song habe ich auch an uns als Band gedacht. In der ersten Strophe geht es um einen jungen Mann, der ein Bild malt und die Kunstlehrerin lehnt es ab, ohne die im Bild beinhaltete Botschaft gegen Rechtsextremismus zu erkennen. -Interessiert mich nicht, ich mache nichts, beschäftige mich nicht damit.- Und das kann man auf andere Kunstwerke adaptieren. Es gibt viele Künstler, die tolle Bilder malen, die aber keinen interessieren . -Da habe ich keine Zeit für, schön, das nächste bitte-. Eigentlich für alle Künstler des Landes. In der zweiten Strophe geht es um die Musik, in der teilweise auch nur noch Masse zählt, weil der Konsument so unterwegs ist.
Feuer
Marco: Mit 5:22 min ist Feuer der längste Song des Albums. Er sollte eine Geschichte erzählen.
André: Bei dem Song habe ich angefangen, Keyboard zu spielen. Auf einmal hatte ich acht Refrains, die ich alle aneinander gepackt habe. Und keiner wiederholt sich, es ist immer eine andere Melodie. Wir haben das dann gemeinsam zu einem Rocksong zusammenfügt.
Tim: Der Anfang ist mit Piano und Gesang erst mal ungewohnt. Zum Ende wird das einer der härtesten Songs, die wir je gemacht haben.
Bis Bald
Marco: Das Lied hat eine positive Grundstimmung und macht einfach gute Laune.Wir spielen den immer zum Schluss als Abschiedssong. Und dabei hätte er es bei der Abstimmung unserer Freunde fast nicht auf die Platte geschafft.
Anm.RM.: Den letzten und mit 1:06 min auch kürzesten Song des Albums Zärtlich sein konnte ich vor dem Interview noch nicht hören. Er wurde innerhalb der Band sehr kontrovers diskutiert und als „Lagerfeuer-Song“, der harmlos beginnt und im Desaster endet, beschrieben. Lasst Euch von diesem Bonussong überraschen, der für kleine Kinder und Eltern gleichermaßen nicht geeignet zu sein scheint.
RM: Was sind Eure Lieblingssongs auf dem Album?
Marco: Gemeinsam untergehen und Hilf mir, ein Song mit Seele
Marvin: Ich bin unentschieden. Ich weiß, welchen Song ich hasse. Das ist Nebel, nicht vom musikalischen her, sondern weil ich ihn zu oft üben musste. Ansonsten mag ich Nichts zu verlieren
Tobi: Vom Hören her Feuer, live macht am meisten Nichts zu verlieren Spaß
Tim: Für mich ist auch Feuer mein Favorit, der stärkste Song finde ich.
RM: Dann freue ich mich, euch bald mal wieder live zu sehen und danke für Eure Zeit!
Marco: Wir danken Dir und hoffen auch, bald wieder auf der Bühne stehen zu können.
Mitglieder der Band
André Dederichs (Gesang), Tobias Schönbeck (Gitarre), Tim Bielen (Gitarre), Marco Rogowski (Schlagzeug), Marvin Jordans (Bass);
Das Album auf Spotify: https://open.spotify.
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