Genre: Post-Hardcore, Indie, Rap
Land: Deutschland
Sperling erschienen gegen Ende des letzten Jahres mit Musik, die die Zeiten überdauern kann, in meinen Gehörgängen. Nach der Single Mond, die einfach wunderschön schwermütig ist, hab ich aber bewusst gewartet, um mir das Album von Anfang bis Ende anhören zu können. Mond erweckte den Gedanken, dass wir hier eine Band haben, die im Fahrtwasser von Heisskalt ihre Zuhörer willkommen heißen wollen. Dass das aber so gar nicht so richtig stimmt, zeigt bereits der Opener.
Eintagsfliege startet leise und langsam, schon fast nachdenklich. Über die ruhige instrumentale Atmosphäre wirft Jojo seine gerappten Vocals drüber. Und im Gegensatz sind die auch wirklich nur gerappt und nicht im herkömmlichen Sinn gesungen. Instrumental baut sich über die Laufzeit hinweg eine breite Gitarrenwand auf. Lyrisch geht es hier ganz klar gegen die Schnelllebigkeit im Musikbusiness und der verdrehten Realität, bezogen auf die Social Media Stars.
Mit dem folgenden Bleib steht eigentlich auch schon recht weit am Anfang einer meiner klaren Favoriten. Punkiges Drumming, rotzige Riffs und ein Cello. Instrumental bleibt der Song extrem auf die Drums und das Cello fokussiert. Lyrisch haut uns Jojo eins ums andere Mal einen fetten Kloß in den Hals. Der perfekte Break Up Song. Jojo rappt sich mit seinen teils schluchzenden Vocals von einer auf die andere Sekunde direkt ins Herz und spricht von Ängsten, die wir wohl alle kennen, und ein schneidet dabei ein erstes ernstes Thema an. Sogar ein kleines Coreiges Solo hat noch Platz gefunden.
Die Musik, die die Jungs von Sperling kredenzen, ist so unglaublich vielseitig und lässt sich kaum auf ein bestimmtes Genre eingrenzen. Instrumental wird Post-Hardcore der Extraklasse gezockt, während die Vocals und Texte einen Casper vor Neid erblassen lassen würden. Eine weitere dieser musikalischen und lyrischen Granaten ist Stille. Musikalisch mit einer klaren Tendenz Richtung Metalcore, sogar mit einem kleinen, aber feinen Breakdown. Dazu ein Cello, das hier sogar ein recht langes Solo bekommt. Wer kennt es nicht? Man ist von irgendjemand oder irgendetwas angepisst. Möchte seiner Wut freien Lauf lassen, doch anstatt, dass die es abbekommen, die es abbekommen sollen, kotzt man sich bei einer vertrauten Person einfach nur aus, was aber oft nichts an der Wut oder dem Frust ändert. Während Jojo bei den Songs davor in seine Vocals vor allem Emotionen gelegt hat, ist Stille ein grandioses Zeugnis von seinem unfassbar wunderbaren Flow.
Ganz besonders ist auch Relikt. Eine Nummer, die so auch von La Dispute hätte kommen können. Im Pre-Chorus entwickelt sich der Song dann aber mehr in Richtung Metalcore und wartet mit einer unglaublich dichten Riffwand auf, immer in Begleitung durch das Cello. Die Raps nehmen hier mehr Tempo auf. Lyrisch kommt Relikt schon etwas kryptisch daher. Zeilen wie Ich bleib so lange am leben wie du willst oder Ich bleibe hier und warte wer auch immer du bist erzeugen eine unheilvolle pessimistische Atmosphäre. Untermalt von den voluminösen Riffs und dem rotzigen Drumming steckt in Relikt eine emotional harte Nummer, die plötzlich und unvermittelt endet.
Groovig, atmosphärisch und mit einer Portion Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit kommt Tanz daher. Jojo resümiert hier wohl den schweren Weg, den man als Musiker geht, wenn man nicht den einfachen Weg nimmt und die Mucke macht, die die Mehrheit der Menschen hören will. Solang die Scheinwerfer brennen, solang musst du tanzen. Solang dich noch einer erkennt, solang musst du tanzen. Hör nie auf zu tanzen, rappt Jojo im Refrain und gibt so Hoffnung. Was er sagen will? Natürlich, weitermachen und an seine Träume glauben. Tanz ist eine der wenigen Songs, die den Bass prominent in Szene setzen. Der dadurch entstehende Groove verleiht der Musik der Band eine weitere Facette.
Der emotionale Siedepunkt wird mit dem Titeltrack Zweifel erreicht. Die erste Strophe schildert das Scheitern eines Menschen an seinen Dämonen. Lyrisch nicht nur bedrückend, macht der Text vor allem auch betroffen. Mit so einer schonungslosen Ehrlichkeit werden uns die Zeilen und deren Sinn dahinter zelebriert. Instrumental wird ein Spannungsbogen gezimmert, in dessen Fokus wieder einmal das Cello und die Drums sowie im Refrain ein disharmonisches Riff stehen. Eine schwere Nummer, die extrem bedrückend und hoffnungslos endet.
Nur eine Akustikgitarre und die Vocals zeigen uns mit Schlaflied eine andere Seite des Todes. Kein Schatten, sondern eine Erlösung. Minimalistisch und trotz der schweren Thematik einfach unfassbar schön. Ein würdiger Abschluss für ein hochemotionales Album.
Fazit:
Oft schaffen es einzelne Tracks von Bands, mich emotional zu berühren, doch auf „Zweifel“ haben mich fast alle Songs emotional so hart getroffen, dass mir nicht nur ein Mal die Tränen in den Augen gestanden waren.
Sperling haben vielleicht das emotionalste Album der letzten Jahre veröffentlicht. Ohne Pathos, einfach eine junge Band, die uns an ihrem Seelenleben teilhaben lassen will. Schonungslos und ehrlich. Oft schwer und nur selten leicht. So wie das Leben oft einfach einmal ist.
Die Musik von Sperling muss in einem Atemzug mit Casper, Heisskalt und La Dispute genannt werden. Alles andere würde ihnen nicht gerecht werden.
Ich wollt eigentlich mit dem Zücken der Höchstbängzahl noch länger warten, aber die Band hat sich die 10 von 10 Bängs redlichst verdient. Jeder, der irgendwas mit emotionaler Musik anfangen kann, muss hier reinhören. Ich bedanke mich bei der Band für diese zwölf wunderbaren Tracks.
„Zweifel“ erscheint am 22. Jänner via Uncle M Music und wird als CD, Vinyl, Digitales Album und Stream erhältlich sein.
Line-Up:
Luca – Cello
Jojo – Rap/Gesang
Malte – Gitarre
Josh – Drums
Max – Bass
Tracklist:
1. Eintagsfliege
2. Bleib
3. Stille
4. Toter Winkel
5. Baumhaus
6. Fuchur
7. Relikt
8. Laut
9. Mond
10. Tanz
11. Zweifel
12. Schlaflied