Land: Norwegen

Genre: Progressive Alternative Rock

Normalerweise habe ich eine Grundregel wenn es um Reviews geht: vor oder am Release-Tag, aber nie danach. Maraton brachten ihr neustes Werk „Unseen Color“ letzte Woche Freitag raus. Leider war das auch der Tag, an dem ich zum ersten Mal von diesem Album erfuhr. Die Norweger Alternative Rocker waren mir zwar bekannt, aber nie wirklich aktiv in meiner Hörrotiation vertreten gewesen. Dann öffnete ich am besagten Freitag meine Instagram-App und sah den Post eines befreundeten Musikers: „Neues Maraton-Album! Release: heute!“ Postwendend begann ich mit dem ersten Durchlauf der Scheibe. Danach wurde mir klar, dass ich zu dieser Platte meinen Senf dazugeben musste.

Gleich im Opener In Syzygy bemerkt man den zurückgenommenen Sound, den Maraton auf „Unseen Color“ pflegen. Nichts klingt wie ein typisches Rock-/Metal-Album. Die altbekannte “Wall Of Sound“ weicht einem klaren Klang, der alle Instrumente gleichermaßen zum Glänzen bringt. In Syzygy rückt besonders den Bass in den Vordergrund. Sänger Fredrik Klemp nutzt seine sanfte Stimme für einen bösen Ohrwurm-Refrain und steuert während dem synthlastigen Finale noch ein paar „Leprous-Ahhhs“ bei. Alles in allem ist der Opener genau das, was er sein soll: eine Beschreibung dessen, was den Hörer auf dem Rest von “Unseen Color“ erwartet.

Contranym zieht das Tempo ein wenig an. Rhythmisch komplexere Strophen münden in einen mitsingbaren Refrain. Die Gitarren nehmen hier zwar eine prominentere Rolle als im Vorgängertitel ein, der Bass gibt jedoch noch immer den Ton an. Insgesamt ist Contranym ein fröhlich klingender Song und offeriert einen guten Kontrast zum Opener, der etwas mehr melancholische Stimmung verbreitet.

Mit Non-Euclidean Heart kommt die melancholische Seite von Maraton wieder zurück. Der Song ist stark auf die Vocals fokussiert, was man an den nur leicht instrumentierten Strophen sofort merkt. Während Contranym noch einen härteren Sound pflegte, klingt Non-Euclidean Heart fast schon wie ein mid-Tempo Pop-Song mit einer Prise Prog. Maratons Stärke der eingängigen Melodien wird hier im besten Refrain des Albums perfekt präsentiert.

Blind Sight fällt in die Kategorie „Uptempo-Songs“. Ich liebe es, wenn Bands es ohne große Mühe schaffen, unnormale Beats in die standardmäßige „Strophe-Refrain-Strophe-Refrain“-Songstruktur einzubauen. Das erfrischt so ungemein. Tracks mit einer Länge unter drei Minuten fühlen sich oft unfertig an, aber Blind Sight birgt für seine kurze Spielzeit so viele zu entdeckende Elemente, dass er sich sich keineswegs an diese Regel hält.

Chillig – das ist wahrscheinlich die beste Beschreibung, die ich Perdurant Lives geben kann. Der Track ist nicht sehr actionreich, aber auch nicht im Bereich der Ballade angesiedelt. Die ruhigen Gesangsparts in den Strophen werden durch einen Filter zusätzlich abgedämpft, der im Refrain etwas gelüftet wird. Die durchgehenden Synths mit Sidechain-Effekt tragen auch ihren Teil zu der oben getroffenen Beschreibung bei. Wer Lieder wie Starsets Waking Up oder Leprous Observe The Train mag, wird sicher auch an Perdurant Lives Gefallen finden.

Boltzmann Brain beginnt mit einem komplexeren Rhythmus, der als Hauptbestandteil des Liedes fungiert. Erneut ist dieser Rhythmus zwar schwierig, schadet der Eingängigkeit des Songs aber nicht. Die Gitarre und der Bass ergänzen sich perfekt – besonders im Refrain. In der Bridge und den Build-ups wird mit programmierten Drums gearbeitet. Den Refrain muss ich an diesem Punkt des Artikels wahrscheinlich nicht mehr beschreiben. Ich glaube mittlerweile sollte klar sein, dass ich auch diesen Chorus täglich zu jeder Gelegenheit leise wiederhole.

Mit Odradek stellen Maraton ihr bisheriges Songkonzept etwas auf den Kopf: hier haben die Strophen mehr Härte und der Refrain ist reduzierter. Der abgehackte Prog-Bass schlägt den Strophen erbarmungslos zu, während der Refrain von Computer-Drums und Synthklängen geprägt ist. In dessen finaler Reprise dürfen auch die Bandinstrumente helfen, bevor der Track mit einer ruhigen „Bass und Schlagzeug“-Soloperformance langsam ausklingt.

Imitation Flesh erinnert mich ein wenig an 24 Light-Years von Vola. Die Strophen sind ruhig, stark vom Keyboard begleitet und durch komplexe Rhythmen aufgelockert. Der melancholisch klingende Gesang leitet den Song in einen kathartischen Chorus. Ein Lied, das bei jeder anderen Band rein balladesk geklungen hätte, bekommt bei Maraton etwas mehr Pep.

Apropos rein balladesk: das siebenminütige A Body Of Your Own ist ein wunderbarer Vertreter dieser Kategorie. Sänger Fredrik Klemp gibt vor dem Hintergrund der Synth-Pads, Klavierklänge und Streicher all seine Emotionen in dieses Lied. Nach vier Minuten übernehmen die orchestralen Elemente die Führung und es entsteht eine Sequenz, auf die Leprous sicher neidisch sein würden. Das Finale mit den gedoppelten Stimmen und dem Kammerorchester-Vibe kommt direkt aus einer Hochzeitsszene eines alten Disney-Zeichentrickfilms. Was für ein Song!

Wenn A Body Of Your Own das On Hold von “Unseen Color“ war, dann ist der Titeltrack und Closer das Nighttime Disguise dieses Albums. Hier lassen Maraton ihre gesamten Prog-Einflüsse spielen und sämtliche Instrumente dürfen aufdrehen. Wer die Härte bisher vermisst hat, bekommt jetzt alles ab, was die Band auf Lager hat. Das instrumentale Ende des Liedes beinhaltet die bösesten Riffs der Platte und klingt so episch wie der Endkampf eines Christopher Nolan-Films.

Fazit: “Unseen Color“ ist für mich geschrieben worden. Ich liebe die innovativen Ideen von Maraton. Der zurückgenommene, basslastige Sound gibt harten Momenten mehr Gewicht und lässt die soften Seiten der Band klarer erklingen. Dieses Album verbindet Eingängigkeit und Prog so leichtfüßig, als hätte das eine nie ohne das andere existiert, aber fällt gleichzeitig nicht in die „nur softe Songs“-Falle. Im Gegenteil: “Unseen Color“ bietet gleichermaßen etwas für Fans von softer und harter Musik. Ich bin gespannt, wie Maraton (und 2022) diese Platte noch toppen wollen.

Von mir gibts für “Unseen Color“ 9 von 10 Bängs.

neun von zehn

“Unseen Color“ erscheint am 7. Oktober 2022 via Indie Recordings und ist als CD, LP und digitaler Download erhältlich.

Die Band:

Fredrik Bergersen Klemp – Vocals

Simen Hundere Ruud – Guitar

Magnus Johansen – Keys

Ruben Aksnes – Bass

Frank Norgeng Røe – Drums

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Maraton Bandcamp

By Elias

Schreiberling aus Leidenschaft, Metal-Enthusiast seit der Schulzeit. Verirrt sich gern in den Tiefen des Prog und bestaunt moderne Ansätze zu Rock und Metal.

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