Manchmal, da begibt es sich, dass man neue Bands für sich entdeckt, die einen von Beginn an förmlich umhauen. So war es auch am 13.4., als wir mehr zufällig denn gezielt im Web auf das Quartett Neànder gestoßen sind. Kurz angespielt, Kinnlade runter geklappt und einfach nur eintauchen in das, was da gerade passiert.
Ein weiterer vortrefflicher Zufall war es, dass das besagte musikalische Projekt am Folgetag, dem 14.4., tatsächlich im Cassiopeia Berlin, im Szeneviertel Friedrichshain, das zweite Konzert ihrer mehrmals verschobenen Tour nachholen wollten.
Wir mussten in der Tat überhaupt nicht überlegen und haben uns sofort dazu entschieden, diesem Happening beizuwohnen. Eine gute Entscheidung zum Vorabend, denn eine Abendkasse gab es am Folgetag nicht – restlos ausverkauft!

Zum Cassiopeia: Perfekter hätte die Location kaum sein können. Der kaum 300 Personen fassende Club eignet sich bestens dazu, die benötigte Atmosphäre aufzubauen. Ein wenig eng, ein wenig warm. Aber trotzdem sehr sauber, gut organisiert. Die Getränke sind wirklich bezahlbar, das ist Team professionell und dennoch cool.

Den Einstieg in den Abend lieferten Grin. Das Ehepaar Sabine und Jan Oberg schafften es, den Zuschauer und -hörer mit dem totalem Minimalismus ihrer Version von Sludge/Stoner Metal zu fesseln. Ja, es handelt sich um ein Duo. So ist die Auswahl an zu spielenden Instrumenten überschaubar: Bass (Sabine) und Drums (Jan). Den Gesang übernimmt ebenso Jan – mit einem aufgeschnallten Headset. Was anfangs ungewöhnlich rüber kam, entpuppte sich als eine sehr ausgereifte Art, die Musik zu präsentieren. Der Bass ließ uns die Hosenbeine schlackern, das Schlagzeug war staubtrocken, häufig sehr progressiv gespielt, der Gesang war recht martialisch. Die beiden verstehen ihr Handwerk. Das ist Qualität!

Nach diesem sehr gelungenen Einstieg und einer kurzen Pause war es dann soweit: Neànder betraten die Bühne. Sie passten optisch definitiv hier her, nach Friedrichshain. Ein Stadtteil, der für seine Clubs und seinen Flair bekannt ist und ein Stück weit zum Aushängeschild des berliner Szenelebens geworden ist. Bisschen Hipster, bisschen Rocker, bisschen alternativ – einfach nur „echt“. Man bediente sich keines besonderen Bühnenbildes oder irgendwelcher ausgelutschten Klischees. Allenfalls das Banner der Band (ein ziemlich fetter Rüsselkäfer) schmückte die Wand im Hintergrund.
Sebastian Grimberg nahm hinter seinem Schlagzeug Platz, Jan Korbach, Michael Zolkiewicz und Patrick Zahn beziehen mit ihren Gitarren Stellung. Und hier ist eines der Erfolgsrezepte von Neànder: Es gibt schlichtweg keinen Gesang. Die Band begründet dies so: „Ein Sänger würde uns entweder zu einer Metal- oder einer Post-Rock-Band machen. Wir glauben, dass das Opfer der Texte unsere musikalische Vision offen hält und hilft, die Musik voranzutreiben“.

Wir sind Zeugen, dass dieses Konzept voll auf geht, denn nach einer kurzen Begrüßung griffen diese so normal aussehenden Typen in ihre Klampfen. Das Stück Aăs vom Debütalbum wurde angespielt. Es begann ruhig. Verträumt klingender, zweistimmiger Gitarrensound. Man war von Beginn an gefesselt. Mit der dritten Gitarre kam dann etwas Härte auf. Und als das Schlagzeug angeschlagen wurde, spielte die Band den Club in Grund und Boden. Unsere Erwartungen wurden sofort übertroffen. Was da oben auf der Bühne passierte, war einer von diesen Momenten, die immer bleiben werden werden. Das Publikum war sofort an dabei. Es wurde gebangt. Es wurde getanzt. Manch einer schloss die Augen. Die Atmosphäre hätte man greifen können und doch war sie unfassbar. Vor uns taten sich ganze Klangwelten auf.
Und es ging so weiter. In die Musik von Neànder fließen so viele Einflüsse mit ein, dass man, selbst wenn man es wollte, die Band nur schwer klassifizieren könnte. Es wechselt sich Härte und dröhnend tief gespielte Gitarre mit Shoegaze ab. Post Rock folgt auf Doom. Ambient auf Black Metal. Es fällt sogar schwer, vergleichbare Bands aufzulisten. Mitunter fühlen wir uns persönlich an Omega Massiv oder an Year of no Light erinnert. Aber nur kurz. Und nur entfernt.

Ein weiteres gutes Beispiel für die Farbenvielfalt, die die Künstler auf die Bühne und uns ins Gehör zaubern können, war das dritte Stück des Abends. Es handelte sich um Odèm, von der erst kürzlich erschienenen Single Odèm/Yola Des Goz. Hier steigt sofort eine ziemlich schroff gespielte Gitarre ein, gefolgt von sehr rhytmischen Drums. Es beginnt sogleich, hypnotisch zu werden. Und zack – da ist es: Shoegaze. Plötzlich und unvermittelt. Es entsteht eine Tiefe, die mitreißt und einen förmlich entführt. Weit weg. Als würde man mit Musik Bilder in den Kopf des Publikums malen. Kaum dass man fort geschwebt ist, reißt einen ein brechend harter Doompart aus seinen Träumereien. Wir können gar nicht aufhören zu schwärmen. Nun läuft die Musik in Dauerschleife. Zuhause, im Auto, im Fitnessstudio. Und immer wieder wird man überrascht und entdeckt eine neue Farbe dieser so faszinierenden Musik.

Fakt ist, dass sich da ein neuer Stern am Himmel auftut. Jedem, der die Gelegenheit hat, dieses Quartett einmal live zu sehen, sollte gar nicht erst lange überlegen. Und jeder, der bereit ist, sich auf das einzulassen, was da abgeliefert wird, sollte wissen, dass die Musik von Neànder gemacht ist, um im Kopf zu bleiben. Denn so schnell lässt uns persönlich dieser Sound nicht wieder los!

Fotos von Laura Spadafora


Grin:
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By Sebastian

Waldschrat und Holzwurm. Weltenbummler und doch gerne zuhause unterwegs. Berliner Schnauze? Hab ick ooch, wa?! Musikalisch bewege ich mich vorrangig im Black Metal in all seinen kreativen Spielrichtungen: Atmospheric-, Shoegaze-, Post-, Folk-, Pagan-, Doom-, Crust-, Ambient-, Symphonic- und so weiter Black Metal ist genau meins. Zudem kommt noch der ganze Neofolk-Kram, den ich wirklich liebe. Ich kann aber auch zu Death Metal abgehen oder bei Power Metal mein Glas heben. Musik transportiert Botschaften. Wer sich mit Scheuklappen durch diese Welt bewegt und nicht mal über den Tellerrand blickt, dem wird viel entgehen. Ansonsten gibt's nur den Standardkram zu sagen: Bin glücklich verheiratet, Katzenpapa, Naturmensch, mache blöde Witze und lache selbst drüber. Pizza ist die Macht!

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