Titelfoto von Guido Specht

RAUSCHFLUT – Norddeutscher Brettrock: Deutsche Texte, schnell ins Ohr gehende Songstrukturen und ordentlich was auf die Mütze!

Video-Interview mit Andreas (Schlagzeug), Rasco (Gitarre), Marko (Gesang), Michael (Bass) und Guido (Fotograf)

Rockmagazine: Schön, dass ihr Euch Zeit für dieses Interview genommen habt und es die Technik erlaubt, auch in Zeiten wie diesen Interviews via Konferenztechnik durchführen zu können. Wie kamt ihr eigentlich auf den Namen RAUSCHFLUT?

Michael: Willst Du das wirklich wissen? Wie viel Zeit haben wir? Also – wir haben uns wochenlang listenmäßig Namensvorschläge per E-mail zugeschickt. Irgendwann sind wir auf Rauschflut gekommen. Das war ideal: Es hat was norddeutsches und kann vieldeutig interpretiert werden. Die Googlesuche ergab zudem keine Treffer, so dass wir wieder gefunden werden.

Rockmagazine: Wie habt ihr euch als Band zusammengefunden?

Michael: Rasco und ich haben uns über einen gemeinsamen Freund (ehemaliger Schlagzeuger) kennen gelernt. Rasco kannte wiederum Marko und hat ihn als Sänger dazu geholt. Dann kam uns der erste Drummer abhanden und ich habe Andy angerufen, den ich noch aus Schulzeiten kenne. Nach dem zweiten Anruf war er dann dabei. Mit anderen Worten: Wir mussten ihn etwas zu seinem Glück zwingen, aber er hat es nie bereut.

Foto: Guido Specht

Rockmagazine: Sicher? Hast Du es wirklich nicht bereut, Andreas?

Andreas: Ääääääääh……………….nein, auf keinen Fall. Es gibt natürlich auch Momente, wo man alles verflucht. Aber das gehört auch immer dazu. Ansonsten bin ich froh und dankbar, dass Michael damals so überzeugend war.

Rockmagazine: Hat sich, seitdem ihr zusammenspielt, irgendwas verändert innerhalb der Band?

Michael: Ja klar hat sich was verändert. Im Songwriting merkt man natürlich, dass wir aus unterschiedlichen Richtungen kommen. Dennoch haben wir zu einem ganz eigenen Stil gefunden und das macht auch so ein bisschen die Mischung bei uns aus. Wir sind enger zusammengewachsen. Das Witzige ist ja tatsächlich, dass wir uns vorher teilweise gar nicht kannten. Es sind teils alte Verbindungen, aber diese Gemeinschaft musste erst mal komplett zusammenfinden und zusammenwachsen. Das hat sehr gut funktioniert. Wie Andi schon sagte: in über fünf Jahren Band gibt es schon mal Diskussionen. Aber Hauptsache, es gibt Diskussion, das heißt nämlich, dass man miteinander spricht.

Andreas: Und wir haben sicherlich einen kleinen Vorteil in dieser Bandkonstellation. Uns fehlt die SuperDiva. Das kann ein Bandkiller sein, wir haben das glücklicherweise nicht und deswegen funktioniert das auch nach über fünf Jahren noch.

Foto: Guido Specht

Michael: Und hinter dieses Zitat würde ich in Klammern setzen: „sagte die SuperDiva“ (Alle lachen).

Andreas: Es ist historisch bedingt nachweisbar, dass der Dummer einer Band immer die coolste Sau ist.

Marko: Ausnahmen bestätigen die Regel (lacht).

Rasco: Bei mir und Marko fühlt es sich eigentlich so an, als wenn wir seit 20 Jahren nichts anderes machen als diese Musik. Wir haben schon mit deutschsprachiger Rockmusik angefangen, da war das noch gar nicht cool. Da wollte das keiner im Radio hören; es gab die großen Bands wie z.B. die Hosen oder später Rammstein, aber sonst wollte keiner deutsche Songs.

Andreas: In den 90er Jahren spielte ich in einer Rockband, da war ich noch der festen Überzeugung, ich würde so eine Art Rockstar werden. Jetzt bin ich Steuerberater, das ist so was ähnliches (Alle lachen). Wir spielten Grunge Rock mit englischen Texten. Auf dem Deutschen Rockmusikerpreis in Köln sagte uns ein Manager, das wäre ganz nett was wir da machten, aber diese Art käme en masse aus den Staaten. Er sagte wortwörtlich: Macht deutsche Texte und dann kommt nochmal wieder. Das war Ende der 90er Jahre! Und mittlerweile ist Deutschrock ja fast inflationär. Für meine damalige Band war das damals ein absolutes NoGo. War einfach nicht cool.

Rockmagazine: Wie funktioniert denn bei Euch Songwriting? Arbeitet ihr gemeinsam an Texten? Schreibt ihr erst den Text und dann die Musik oder andersrum?

Marko: Die Texte schreibe ich. Bei der Musik steuert jeder seinen Teil dazu. Meistens ist es so, dass Rasco, Michael oder ich mit einer musikalischen Idee kommen. Die wird dann ausgearbeitet, um sie besser zu machen. Dann kommt der Schlagzeuger und zerlegt das Ding wieder. Er hat zwar keine eigenen Ideen, aber findet erst mal alles scheiße (Gelächter). Nein, er hat häufig wertvolle Ergänzungen.

Rasco: Marko kommt meist mit fertigen Songs. Das liegt ein bisschen daran, dass Marko ein Multiinstrumentalist und Bastler ist. Ich bin dagegen so ein Typ, der auf eine Drumspur drei Gitarrenspuren drauf haut und gut. Es gibt aber auch Tage, wo einer von uns nur mit einer Idee in den Proberaum kommt und wir daran weiterarbeiten. Es hat sich viel geändert. Früher hat man sich im Proberaum getroffen und geguckt, was passiert. Heute macht man viel von zu Hause und schickt sich das zu. Das hat eine andere Dynamik.

Foto: Guido Specht

Andreas: Das nimmt für Außenstehende vielleicht ein bisschen die Illusion, dass bei einer Band die Jungs zusammensitzen und sich in Form spielen. Ich habe lange genug in Bands Schlagzeug gespielt, da brauch ich nicht mehr das Gejamme, wo man ohne Plan einfach drauflos daddelt und dann kommt nichts dabei rum. Ich bin ganz dankbar, dass ich so viel Input von den anderen bekomme, an dem ich mich dann abarbeiten kann.

Rockmagazine: Marko, wo nimmst du die Inspirationen für deine Texte her? Sind das autobiographische Texte? Ich habe von einem Nachbarn gehört, der dich zu einem Songtext inspiriert haben soll.

Marko: Du meinst Wi mok di dat? Bei mir sind ungefähr 50% Fiktion und die anderen 50% sind selbst Erlebtes. Bei Schönheit des Klischees zum Beispiel saß ich in Aberdeen in einem Park und wartete, dass meine Frau mit dem Einkaufen fertig wurde. An einer Wand saßen ein paar Punks. Da ging ein Typ vorbei, der war eigentlich ganz normal gekleidet, als wenn er zur Arbeit geht, mit einem Kaffee in der Hand. Dann blieb er stehen, holte einen Edding raus, kritzelte irgendetwas an die Wand und ging dann weiter. Das schien der jeden Tag zu machen, denn anstatt dieser üblichen „Anti-Alles-Parolen“ standen da lauter Sätze wie „Ich finde alles gut“, „Ich liebe mein Leben“, „Ich bin ganz normal“ oder „Ich finde die Stadt schön“. Ich hörte dazu über Kopfhörer die Schönheit der Chance von Thees Uhlmann und so kam ich auf den Titel. Die Situation ist zwar schon 15 Jahre her, aber ich hab kürzlich ein Foto gesehen, was mich daran erinnerte.

Foto: Guido Specht

Andreas: Marko hat in seinen Texten eine Botschaft, die er rüberbringt und das muss gar nicht plakativ oder wahnsinnig gesellschaftskritisch sein. Man merkt, das dass, was Marko schreibt, Episoden aus seinem Leben sind und dabei ist er wahnsinnig kreativ.

Marko: Das höre ich jetzt zum ersten Mal!

Michael: Karina, warte bitte kurz, wir holen Marko eben wieder runter und rufen Dich gleich wieder an (alle lachen).

Marko: Uns ist als Aussage einfach wichtig, dass wir aus der gesellschaftlichen Mitte kommen und ganz normale Durchschnittsbürger sind, die vielleicht manchmal etwas über die Stränge schlagen. Wir bilden das typische Bild der Leute hier in der Gegend ab.

Rockmagazine: Ihr habt nach zwei EPs und einem Album wieder eine EP gemacht. Warum nicht noch einmal ein Album?

Michael: Wir sind Ende 2019 das erste Mal in ein Studio, in das Hertzwerk NullZwei von Olman Viper in Hamburg, gegangen. Wir hatten einige Songs vorbereitet und haben uns dann auf fünf davon verständigt. Wir wollten erst mal die Erfahrung machen, ob uns das musikalisch und künstlerisch weiterbringt. Die vorherigen Scheiben haben wir alle selbst produziert.

Foto: Guido Specht

Rasco: Die Möglichkeiten, die Bands heute haben, um ihre Musik selbst mit guten Ergebnissen zu produzieren und sie zu vermarkten sind natürlich völlig andere, als die vor 20-30 Jahren. Aber: Ins Studio zu gehen und mit jemand Erfahrenem wie Olman zusammenzuarbeiten, der uns unterstützt, was wir aus einem Song machen und wo wir uns hin entwickeln, das war für mich das Ausschlaggebende. Mit einem guten Produzenten kannst du um einiges schneller Dinge umsetzen und er entwickelt dich weiter.

Michael: Wenn du die Produktion komplett selbst machst, bist du beim Songwriting oder beim Aufnehmen irgendwann an einem Punkt, wo du sagst: „Okay jetzt machen wir das so“. Von einem Dritten bist du dann auch bereit, Kritik anzunehmen, die du intern gar nicht mehr anbringen würdest.

Rasco: In der Band wird entweder irgendwann nicht mehr drüber diskutiert, weil sich alle irgendwo arrangiert haben oder man sagt, „da gefällt mir das und das nicht“, aber du willst das Fass nicht mehr aufmachen. Wenn du natürlich mit einem externen Produzenten zusammenarbeitest, guckt der anders drauf und sagt dann auch: Sorry, ich bin jetzt ganz ehrlich: Das ist einfach Mist.

Andreas: Plakativ ausgedrückt kann man auch sagen: Wenn ein Bandmitglied bei mir am Schlagzeug steht und sagt: Du spielst scheiße – da fliegen die Stöcke. Wenn ein professioneller Produzent sagt, du spielst scheiße, dann sage ich: Das könnte sein. Bei einem Externen gehst du mit Kritik einfacher und anders um, als in so einer Bandehe.

Foto: Guido Specht

Rockmagazine: Was ist für euch eigentlich schwieriger: Die Fans oder euch selbst zufrieden zu stellen?

Marko: Ich glaube, die Fans zufrieden zu stellen ist einfacher. Wir machen uns oft zu viel Gedanken über unsere Performance.

Rasco: Das hast du eigentlich als Musiker immer. Du machst dir extrem viele Gedanken, weil du eine bestimmte Erwartung an deine Show hast. Insofern ist es immer schwieriger, sich selbst zufrieden zu stellen oder innerhalb der Band einen Konsens zu finden, was gut und was nicht so gut funktioniert hat. Die Leute, die einfach feiern gehen und Spaß haben wollen, haben da eine ganz andere Wahrnehmung von dem, was du da machst. Es ist schwierig an den Punkt zu kommen, wo du sagst, jetzt ist alles so, wie ich mir das vorgestellt habe.

Guido: (Bandfotograf): Ich finde euch häufig zu selbstkritisch.

Michael: 2015 hatten wir unsere ersten Live-Auftritte. Das ging schon nach dem Motto: Oh, jetzt müssen wir die Musik ganz sauber rüber bringen. Wir haben dabei gar nicht so sehr drauf geachtet, wie wir eigentlich auf der Bühne wirken. Das hat sich zum Glück mit der Routine geändert.

Rasco: Man muss einen guten Mittelweg finden. Bei anderen Bands bin ich – ohne das böse zu meinen – manchmal live ein bisschen enttäuscht, wenn es zu sehr in die eine oder in die andere Richtung geht. Wir versuchen, einen Mittelweg zu gehen.

Foto: Guido Specht

Michael: Also irgendwas zwischen Jazzmusik und als Student besoffen von der Bühne fallen (Gelächter).

Rockmagazine: Wie ist das für euch, wenn die Leute vor der Bühne eure Songs mitsingen?

Michael: Das ist wirklich geil. Wir haben das mittlerweile schon häufiger erlebt, insbesondere, wenn wir hier regional spielen. Es gibt so bestimmte Ecken, wo wir schon recht bekannt sind. Und witzigerweise haben wir das auch bei unserem Support für Ohrenfeindt erlebt. Die haben einen treuen Fanclub, „Ohrenfreundte“, der deutschlandweit mitreist. Da sind auch ein paar dabei, die unsere ganzen Songs rauf und runter gehört hatten. Da waren wir echt überrascht, als die vor der Bühne standen und unsere Texte mitsangen.

Rockmagazine: Könnt ihr zu den anderen vier Stücken auf eurer EP noch etwas sagen?

Marko über Ich wollte nur mal nett sein
Die Botschaft zu Ich wollte nur mal nett sein ist ja eindeutig. Wenn Deine Frau zum Beispiel vor Dir steht und fragt, ob sie das Kleid anziehen kann. Dann sagst Du als Mann „Ja super“ und dann kommt die Frage, „Warum sagst Du das so schnell, hast du überhaupt richtig hingesehen?“. Und wenn man ehrlich sagt „Sieht nicht gut aus“ – dann heißt es „Du hast gar keine Ahnung“. Auf solchen Situationen basiert der Songtext.

Rasco über Drei Worte
Beim Song Drei Worte ist der Text sehr ernst, die Musik war aber ursprünglich sehr fröhlich gefärbt. Er hat ursprünglich ein ganz anderes Gefühl vermittelt. Wir haben lange hin und her überlegt, was ihm fehlt. Seinen jetzigen Charakter hat er erst im Studio bekommen. Obwohl er immer Spaß macht und wir ihn gerne spielen, war das so ein Kandidat, wo wir auch relativ viel Arbeit investieren mussten.

Andreas: Ich finde das immer so faszinierend, wie unterschiedlich so ein Song betrachtet wird. Für mich war das ziemlich schnell die gedachte zweite Singleauskopplung. Ich finde ihn sensationell. Der ging bei mir von Anfang an sehr gut ins Ohr und dann kam noch diese E-Gitarren Spur von Rasco am Anfang des Songs, wo ich einfach sage „Wahnsinn das geht mir jetzt einfach unter die Haut.“ Die touched mich einfach immer noch.

Michael über Flugmodus
Die ursprünglich Idee zu Flugmodus kam von mir. Der Song unterscheidet sich ein bisschen von den anderen. Die Läufe in der Strophe erinnern weniger an einen klassischen Rocksong und trotzdem fusioniert das nachher im Refrain wieder in so eine Rockgeschichte. Ich mag das total gerne, wenn du Überraschungseffekte in der Musik hast. Wenn ein Song erst mal harmlos aber interessant anfängt und eben nicht klassisch wie ein Rocksong aufgebaut ist und sich das dann so schön auflöst. Wir bemühen uns, eine relativ große Bandbreite abzudecken und versuchen, dass nicht jeder Song klingt wie der vorherige.

Andreas: Nichts gegen Bad Religion, ich mag Bad Religion aber es war immer ein großer Kritikpunkt an der Band, das alles wirklich gleich klingt. Uns ist es ein großes Anliegen, dass wir Abwechslung bieten und dafür werden wir auch oft gelobt.

Michael über Wo der Frosch die Locken hat
Das ist der Gute-Laune-Song und mein persönlicher Lieblingssong auf der Scheibe.

Rasco: Der Song macht halt tierisch Spaß, auch live. Marko hat das Ding damals geschrieben und per WhatsApp geschickt. Ich weiß, ich habe auf dem Hauptbahnhof in Dortmund gestanden und wartete auf den Zug. Ich dachte: Ja, den willst du auf alle Fälle spielen. Ich habe den dann die ganze Zugfahrt über gehört. Der war irgendwie auch gleich so, wie er sein sollte.

Marko: Der Text hat ausnahmsweise mal keine große Botschaft und ist einfach aus dieser Phrase heraus geboren, ohne jetzt Anspruch dahinter zu suchen.

Rockmagazine: Das war sehr viel Input und ich danke euch, dass ihr euch die Zeit für dieses Interview genommen habt. Gibt es noch eine Botschaft, die ihr loswerden möchtet?

Michael: Weißt Du eigentlich, dass wir einen eigenen Wodka haben, der auch Rauschflut heißt? Unser Bandfotograf Guido macht für einen Vertrieb Produkt-Fotos und so ist der Kontakt zu einer Destille entstanden. Da gibt es eine Kooperation und die machen uns diesen Schnaps extra nach unserer Rezeptur. Wir haben ihn immer am Merchstand dabei und es gibt hier auch ein paar Läden, die ihn direkt verkaufen.

Marko: Der Präsident von Weißrussland hat neulich doch gemeint, man soll wegen Corona 50 ml Wodka täglich trinken, natürlich nicht bei der Arbeit (Gelächter).

Michael: Wir wollten den dahin exportieren aber noch hat das nicht geklappt.

Marko: Die Amerikaner haben den am Flughafen abgefangen.

Guido: Mit Rauschflut aus der Krise!

Andreas: Uns Norddeutschen wird ja nachgesagt, dass wir sehr stoische Menschen sind und in einem gewissen Sinne stimmt das ja auch. Wir haben so eine Ruhe in uns. Und das wünsche ich mir eigentlich von Allen, dass wir Ruhe bewahren während dieser Zeit. Und dann kommen wir da auch wieder raus. Im Grunde genommen ist meine persönliche Botschaft: Bleibt cool!

Rockmagazine: …und trinkt Wodka?

Andreas: Ja genau, trinkt unseren Wodka!

Rockmagazine: Das war ein super Schlusswort! Nochmal vielen Dank und hoffentlich bis bald mal live!!

Foto: Guido Specht

By Karina

Karina ist für uns an Rhein und Ruhr unterwegs. Sie hört neben Metal auch Irish Folk Punk, Deutsch- und Mittelalterrock. Für gute Musik ist ihr kein Weg zu weit.

Related Post