Ghost ist eine Band, die sicherlich viel von ihrem Reiz aus der Maskerade von Frontmann und Begleitband zieht. Mittlerweile ist bekannt, wer sich unter den Masken verbirgt. Anders ist das bei dem Kollektiv, das unter dem Namen Sleep Token mit „Sundowning“ ihr Debut Album veröffentlicht.
Als Sundowing oder Sundown Syndrome wird eine Wesensveränderung von Menschen, die an Demenz leiden bezeichnet. Hier wird so zu sagen die Nacht zum Tag gemacht und ab dem Nachmittag beziehungsweise dem Abend machen diese Menschen vermehrt einen ruhelosen und getriebenen Eindruck. Dies kann bis zu sehr starker Aggression führen. Bis heute konnte nicht herausgefunden werden, wieso dies bei Menschen mit Demenz auftritt.
Was kann man nun aber von Sleep Token erwarten? Ich muss sagen, ich habe mich etwas der Magie der Band entzogen und wollte das Album als Ganzes erforschen, denn in regelmäßigen Abständen haben sie nach und nach die Tracks des Debut als Singles veröffentlicht. Irgendwann im Sommer habe ich kurz in eine Nummer rein gehört. Für mich war klar, das uns hier ein fettes Prog Metal Album erwarten wird. Aber, verdammt, ich lag so was von falsch.
Das einleitende The Night Does Not Belong To God erzeugt durch seine schon sehr an Dark Wave erinnernde, elektronische Komponente eine ungemein dichte Atmosphäre, die nach einem gelungen Intro durch den gelegentlichen Einsatz eines Pianos verstärkt wird. Das wirklich Herausragende sind aber die Vocals von Frontmann Vessel. Selten hat mich eine Stimme so schnell so gefangen wie die dieses des Masken- und Mantelträgers. So gemächlich und verträumt bleibt dieser Track aber nicht. Mit Einsetzen des Refrains gesellen sich Drums und Gitarren dazu, stets jedoch in gewisser Weise gelenkt von diesem betörenden, elektronischen Sound.
Mit The Offering erlebt man auch das erste Mal, welche Range die Stimme von Vessel hat. Während zwischen den Gesangsparts der Sound von Gitarre und Drums getragen wird, übernehmen in Strophen und Refrains wieder die EDM Sounds und geben so dem gottgleichen Gesang Raum zum Wachsen. Vessel trägt diese mal schmerzverzerrt schluchzend, mal extrem hoch und kurz vor dem gekonnt eingesetzten Breakdown schreiend vor. Nach besagtem Breakdown wird das Tempo extrem angezogen, nur um anschließend wieder eine gewisse Verwirrung beim Hörer zu erzeugen.
Levitate setzt gesanglich dem Album die Krone auf. Ja, das bereits beim dritten Track.
Eine Piano-Ballade mit herzzerreißendem Gesang, welcher hier streckenweise an Rag´n´Bone Man und Walking On Cars erinnert. Bei dem Piano bleibt es aber nicht. Die Nummer steigert sich über die ganzen fünf Minuten immer weiter und bekommt immer mehr Facetten, nur um schließlich wieder alles fallen zu lassen und dann doch noch mit einem an Djent erinnernden Soundcocktail beendet wird.
Ihr seht schon, meine Begeisterung für die Musik ist sehr groß. Auch mit Dark Signs bricht diese Begeisterung nicht ab. Hier wird beinahe zur Gänze auf klassische Instrumente verzichtet und sehr viel mit Elektro experimentiert. Etwas Stimmverzerrung hier, ein an ein okkultes Ritual erinnernder Gruppengesang da. Zum Ende hin treten Drums und Gitarre dann doch noch in Erscheinung und pushen den Track noch einmal ordentlich in die Höhe.
Episch wird es bei Higher, welches auch ansatzweise noch klassischsten Metalstrukturen folgt. Extrem verspieltes drumming und straightes zocken der Gitarre. Unerwartete Screams und ein fetter Breakdown beenden diesen normalsten Track auf „Sundowning“.
Getragen von Akustikgitarre kommt das rührende Take Aim daher. Für mich der ruhigste Track, obgleich auch dieser wieder eine Vielzahl der nicht zuzuordnenden Facetten von Vessel und seinen Mannen zeigt.
Düstere Beats bilden die Stütze von Give, welches mit einer ordentlichen Portion Pop daher kommt und mich an die „Youngblood“-Ära von 5 Seconds Of Summer erinnert. Eine mehr als gemächliche Nummer welche lyrisch auch direkten Bezug auf Demenz nimmt. „In Your Waking Moments, I Will Be There“ verspricht der zerbrechliche Vessel und verpasst schnell noch eine fette Gänsehaut.
Dass das Kollektiv aber auch ganz anders kann, zeigt der Nackenbrecher Gods. Im Vergleich zum Rest kurz und bissig. Eine willkommene Abwechslung nach den doch eher gemächlichen anderen Songs.
Hypnotisch kommt das bittersüße Sugar um die Ecke. Ein verstörendes Intro, verzerrte Stimme und ein in Mark und Bein gehender Bass sind die prägendsten Elemente dieses auf eine merkwürdige Art und Weise geilen Songs. Überraschend ist die zweite Hälfte, in der die Nummer in eine Alternative Metal Hymne verwandelt wird. Von Gesicht streicheln, zu Gesicht zerfetzen.
Gewohnt geht es mit Say That You Will weiter, eine Melange aus den unverkennbaren Seiten der Band. Gerade, weil es aber so gewohnt klingt, auch der schwächste Track. Hier sei aber angemerkt, das es sich um Nörgeln auf höchstem Niveau handelt.
Drag Me Under verstehe ich mehr als überlanges Intro zum letzten Track, als wirklich einen für sich stehenden Song. Dominante elektronische Sounds und ein in den Hintergrund geschobener Gesang prägen diese ruhige, vorletzte Stufe eines umwerfenden Albums.
So ruhig, wie Drag Me Under endet, beginnt auch das abschließende Blood Sport. Vessel singt hier unglaublich direkt und schonungslos und wird von einem Piano begleitet. Der Schmerz, den Vessel hier vermitteln wird, kann man direkt fühlen. Die etwas später einsetzenden stampfenden Drums leiten ein abschließendes Feuerwerk ein. Hier bekommt man noch einmal alles, was die Band bieten kann, um die Ohren gehauen, bevor eines der emotionalsten Outros den Ton angibt. Das melancholische Piano und dazu das Weinen des vorher so stark klingenden Vessel.
Ende. Gänsehaut.
Fazit:
Seit einigen Tagen läuft bei mir nichts anderes als „Sundowning“. Ich verliere mich in der Musik. Lasse mich von ihr mitreißen. Versinke in diesem wilden Mix diverser Stile und kann immer wieder neue Facetten, neue Highlights heraushören.
Hält man sich vor Augen wie diese Band auftritt: Mit weißen Masken mit roten „Runen“ darauf, langen mystischen Mänteln und schwarz bemalter Haut, würde man Sleep Token sicherlich eher dem Black Metal zu ordnen. Dem ist aber eben nicht so. Im Gegensatz zum Auftreten der Band vermittelt die Musik oft nicht so einen extrem düsteren Ton. Dennoch kann ich mich dem Gedanken nicht entziehen, hier in gewisser weise einer Art Ritual bei zu wohnen. Die Tracks bauen sich gegenseitig auf und erzeugen eine sehr dichte Atmosphäre.
Etwas musste ich doch überlegen, welche Wertung ich diesem Kleinod geben soll. Doch gibt es hier nur eine Möglichkeit. „Sundowning“ stellt für mich ein großes Highlight dar. Nicht nur in diesem Jahr, auch rückblickend auf die vergangenen Jahre wussten nur wenige Alben mich so mit zu reißen, wie dieses Debut.
Ich vergebe 10 von 10 Bängs.
„Sundowning“ erschien am 22. November via Spinefarm Records und ist als CD, Vinyl, Digitales Album und Stream erhältlich.