Land: Polen
Genre: Progressive Rock
Wie könnte man 2023 besser starten als mit einem neuen Album der polnischen Prog-Rocker von Riverside?! Die Band hat nun schon einige Alben auf dem Buckel und das neuste Werk mit dem Titel „ID.Entity“ präsentiert sich als fast einstündiges Konzeptalbum zum Thema Identität. Dabei ist die Frage dieser Rezension jedoch die nach der Identität des Albums. Verbringt sich hinter dem cleveren Titel ein Meisterwerk oder ein Rohrkrepierer?
Opener Friend Or Foe? lässt zu Anfang Zeit und stellt dem Hörer alle Bandelemente vor. Besonders betont werden Bass, Schlagzeug und das Keyboard. Sobald Sänger Mariusz Duda mit einsteigt, kommen mir sofort a-ha in den Sinn. Die 80er-Synths unterstützen diesen Gedankengang. Friend Or Foe? liefert einen entspannten a-ha–Prog-Song, der durch seinen erstklassigen Refrain und die Instrumentierung brilliert.
In Landmine Blast wird der Gitarrenriff zuerst eingeführt und danach die orientalisch klingende Melodie. Der Song erinnert mehr an Prog Rock im klassischen Sinne und folgt in die Fußstampfen von Leprous „The Congregation“-Zeiten. Gegen Ende wird der doch härtere Track etwas ruhiger. Alles in allem ein solider Song, aber weitaus weniger spannend als sein Vorgänger.

Big Tech Brother bringt das 80er-Feeling durch den kitschigen Anfang mit Synth-Hörnern wieder zurück. Schnell übernehmen aber die Gitarren das Ruder und verwandeln das Lied gemeinsam mit der Orgel in einen Ghost-Song. Beim Einstieg der Vocals ziehen sich die Instrumente zurück und kommen erst wieder im Refrain mit voller Kraft zurück. Am Ende dürfen die Gitarren sogar eine Art Breakdown hinlegen, aber nach Riverside-Art. Der Mix des Albums ist sehr rockig und weniger auf der Metal-Schiene angesiedelt. Alle Instrumente klingen sehr klar und es gibt keine „Wall Of Sound“. Daher klingt auch der Breakdown zwar heavy, aber nicht nach Death Metal. Ich persönlich sehe Big Tech Brother als einen der stärkeren Songs von „ID.Entity“ an.
Post-Truth offenbart weitere Stärken der Band. Das Leitmotiv der Gitarren ist besonders gelungen und wird durch ein solides Riff-Gerüst unterstützt. In der Mitte des Songs gibt es ein Synth-Solo à la Perfect Strangers und am Ende des Liedes stürzt das Instrumentalgerüst wie ein Kartenhaus kakophonisch auf den Hörer ein. Die schwächeren Vocals halten das Lied leider etwas zurück.
Kommen wir zum „Make it or break it“-Teil des Albums: der Longplayer. The Place Where I Belong umfasst über 13 Minuten Musik und ist genial und frustrierend zugleich. Zu Beginn wird stark auf die Akustikgitarre und einen Synth-Teppich gesetzt, was recht gut funktioniert. Doch sobald der Song dann ab Minute drei an Fahrt aufnimmt, klingt er für mich ein bisschen zu sehr nach modernem Deep Purple. Nicht dass das schlecht wäre, nur kann die Band meiner Meinung nach etwas besseres als einen langen Mid-Tempo Track mit fast gesprochenen Strophen und konstanten Keyboard-Soli. Später wechselt die Band dann wieder zum idyllischen Akustik-Feeling des Anfangs, lassen den Track aber ohne wirklichen Höhepunkt ausdümpeln. Als das zentrale Stück des Albums holt mich The Place Where I Belong nicht wirklich ab.
Die vorab veröffentlichte Single I’m Done With You tappt wieder in die rockigere Seite der Band. Mit proggigen Riffs, einem aggressiven Refrain mit Screams und einem voll instrumentierten Finale präsentieren sich Riverside von ihrer besten Seite. Aber hört doch selbst:
Der Hauptriff von Self-Aware klingt fast poppig. Ein Upbeat-Song auf einem Riverside-Album?! Ok, warum nicht! „Ohohoh“ im Refrain und einem Reggae-Mittelteil ist nun wirklich nicht was ich auf „ID.Entity“ erwartet habe, aber auch wenn Self-Aware nicht mein Lieblingslied des Albums ist, gibt es doch Bonuspunkte für den kreativen Überraschungseffekt. Trotzdem scheitert die Band auch hier ein genugtuendes Finale zu schaffen: der Track dümpelt bis zum Ende des (viel zu oft genutzten) Fade-outs vor sich her und hinterlässt so keine bleibenden Eindrücke.
Fazit: Riverside liefern mit „ID.Entity“ ein sehr gemischtes Werk ab. Auf der einen Seite gibt es hervorragende und experimentelle Tracks, wie das a-ha-mäßige Friend Or Foe? und das harte Big Tech Brother. Die andere Seite des Albums offenbart jedoch fast schon langweilige Tracks wie The Place Where I Belong, der viel zu lange im seichten Prog-Fahrwasser verweilt oder verpasste Chancen wie Self-Aware, das für mich keinen guten Closer für „ID.Entity“ abgibt. Fans der Band werden das Album sicher genießen, aber unter die beste Platten der Band schafft es „ID.Entity“ leider nicht.
Von mir gibts es 6,5 von 10 Bängs!

„ID.Entity“ erscheint am 20. Januar 2023 via InsideOutMusic und ist als CD, LP und digitaler Download erhältlich.

Die Band:
Mariusz Duda – Vocals, Bass, Acoustic Guitar, Electric Guitar
Piotr Kozieradzki – Drums, Percussion
Michał Łapaj – Keyboards Hammond Organs, Theremin, Banking Vocals
Maciej Meller – Electric Guitar
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