Land: Finnland

Genre: Melodic Death Metal

Eine neue Rezension von mir vor GTA 6?! Mit dem Satz hab ich jetzt sicher alle Ü40er unter euch schon verloren. Aber es stimmt: meine regelmäßigen Beiträge auf dieser Seite sind im letzten Jahr immer weniger geworden. Der Funke des Rocks in mir brennt einfach nicht mehr so wie früher. Doch wenn meine liebsten Melodeath-Metaller Amorphis ein neues Album ankündigen, habe ich natürlich keine Wahl als darüber zu schreiben!

„Borderland“ ist mittlerweile das 15. Studioalbum der Finnen, die nun seit 35 Jahren miteinander musizieren. Da fragt man sich als Fan natürlich ob nach dieser langen Zeit auch bei Amorphis das Feuer der Kreativität der Musik langsam nachlässt. Und die Band beantwortet diese Frage mit einem klaren „Nein“!
Die Band hatte die letzten drei Platten gemeinsam mit Produzentenlegende Jens Bogren erstellt und lassen auf „Borderland“ diese Erfolgskombo hinter sich. Mit Jacob Hansen (Evergrey, Amaranthe, Arch Enemy) holen sich die Finnen einen für sie neuen Produzenten an Bord. Das neue Werk klingt etwas weniger durchproduziert und zurückgenommener als das orchestral-brachiale „Queen Of Time“ oder das experimentell-proggige „Halo“. Doch nicht nur produktionstechnisch hat sich etwas verändert – auch das Songwriting wirkt aufgefrischt. Während die Vorgängeralben klar die härteren und Growl-lastigeren Songs bevorzugten, hört man auf „Borderland“ hauptsächlich gefühlvoll-melodische Tracks. Natürlich sind jetzt nicht alle Songs plötzlich zu Balladen geworden, aber die wundervollen Melodien, die Amorphis meiner Meinung nach zu der Genregröße machen die sie sind, dürfen hier viel stärker glänzen. Das merkt man direkt beim Opener The Circle, der sich qualitativ in die Reihe der hervorragenden Amorphis-Album-Eröffnungssongs einfügt. Mit seinen „Skyforger“-Vibes (dem Gitarren-Delay sei Dank) und proggigem Schlagzeug bringt der Song Aufwind, bleibt aber mit dem fast durchgängig klaren Gesang weitaus softer als die Opener der vorherigen Alben.

Single-Auskopplung Bones ist einer der weniger geradlinigen Death Metal-Songs des Albums, der stark an das orientalisch angehauchte Death Of A King vom „Under The Red Cloud“-Album erinnert. Auch wenn der Track in meinen Augen etwas zu eintönig ist, kann ich jedoch auch sehen wie er zum Liebling von Fans der alten Amorphis-Zeiten werden könnte. Glücklicherweise ist Bones für mich der einzige Song der auf „Borderland“ auf der Strecke bleibt. Fetziger geht es weiter mit Dancing Shadow, einer Mischung aus Wrong Direction und… Disco-Einflüssen?! Ihr habt richtig gelesen, denn die Finnen haben hier wirklich etwas Tanzbares auf ihr Metal-Album gepackt. Heißt das jetzt dass sie ihre Instrumente gegen computergenerierte Beats ausgetauscht haben? Natürlich nicht. Alles an diesem Song schreit Amorphis.

Photocredit: Sam Jamsen

Fog To Fog nimmt sich Zeit für ein langsames, gefühlvolles Intro und übernimmt danach eine ähnliche Rolle und Melodiestruktur wie Heart Of The Giant von „Queen Of Time“ während der Refrain eingängig genug ist um Halo vom gleichnamigen Album Konkurrenz zu machen. Der Bombast der letzten Alben ist auch hier etwas zurückgefahren worden und die Bandinstrumente übernehmen eine klare Führungsrolle. Direkt danach folgt mit den Tönen von The Strange eine fast schon klassisch klingende Leadmelodie, die sich orchestral gespielt sicherlich nahtlos auf einem Mozart-Konzert einschleichen könnte. Aber auch im metallischen Kontext funktioniert die Melodie perfekt um, egal ob von Gitarre oder Piano vorgetragen, ein melancholisch-episches Stück Death Metal zu tragen.

Der starke Mittelteil von „Borderland“ legt mit Tempest noch einen drauf. Akustikgitarren, Klavier und Tomi Joutsens Klargesang führen in das getragene Stück ein und bauen auch nach dem Mitschunkel-Refrain das Stück weiterhin auf. Dieser Song versetzt mich persönlich zurück in das romantische „Silent Waters“-Album, das bis heute weit oben auf meiner Rangliste der Amorphis-Tonträger thront. Doch der Song bleibt nicht nur auf diesem romantischen Seefahrer-Vibe, sondern lässt den Sturm gemeinsam mit markerschütternden Growls und choraler Unterstützung im Finale durchblicken.
Nach diesem Highlight kommt mit Light And Shadow direkt das nächste. Ein moderner Amorphis-Song aus der Lehrbuch mit Strophen zum Mitgrooven, epischem Refrain zum Mitsingen und Melodien zum Mitpfeifen. Die erste Single-Auskopplung repräsentiert das neue Album wirklich perfekt und bleibt auch nach unzähligen Hördurchgängen noch positiv im Kopf – im Kontext des Gesamtwerks ist sie meiner Ansicht nach sogar noch besser als alleinstehend.

Wie ein Eisbrecher im kalten Winterabend auf hoher See kommt The Lantern schleppend aber romantisch angefahren und bahnt sich seinen Weg zum Denkzentrum des Hörers. Der Track klingt wie eine fokussiertere und flottere Version von Pyres On The Coast. So hat auch er einen von Growls getragenen Refrain und viel Support vom Orchester. Doch auch die Arbeit der Gitarren und besonders die des Keyboards ist hier besonders wichtig. Die Blade Runner-esquen Töne verleihen dem Song seine düstere Atmosphäre.
Weiter geht es mit dem Titelsong. Würde man diesen als Charakter in einem Videospiel auswählen können, hätte dieser die Allrounder-Klasse, denn Borderland besitzt alle bekannten Qualitäten von Amorphis. Es wird gesungen und gegrowlt, es gibt rockende Rhythmen und melancholische Melodien. Besonders stark ist hier das kleine Gitarrensolo, das dem Song noch etwas Spielerisches verleiht.

Doch das Spiel ist im Rausschmeißer Despair dann vorbei. Das epische, fast an Black Metal erinnernde Intro markiert das Ende der fröhlichen Zeit und kündigt einen traurig-wütenden Song mit Gravitas an. Die Trauer ist in den ruhigen Strophen sprübar, während der gegrowlte Refrain wie ein Lavaschauer auf den Zuhörer hinab prasst. Der Build-up zum Ende des Tracks bringt das Orchester in voller „Queen Of Time“-Stärke zurück um dem Closer noch ein Stück mehr Besonderheit mitzugeben, bevor die Growls von Tomi Joutsen uns von diesem schweren Song entlassen. Glücklicherweise gibt es den Replay-Button auf dem CD-Spieler, der uns „Borderland“ wieder von vorne erleben lässt!

Und nun? Hat Amorphis es geschafft den Funke des Rock bei mir wieder neu zu entfachen? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aber eins weiß ich gewiss: der Funke für gute Musik brennt bei mir nun wieder etwas heller als zuvor und die Liebe zu Amorphis hat auch wieder eine neue Dimension angenommen.

Fazit: Amorphis läuten mit „Borderland“ eine neue, romantischere Ära ein. Große Melodien, Melancholie und vor allem anderen die Band selbst stehen auf dieser Platte klar im Vordergrund. Trotzdem würzen die Finnen ihre Songs mit allen möglichen Elementen aus der Vergangenheit (und ein paar neuen, experimentellen Gewürzen), ohne die Suppe zu versalzen. Für mich ist „Borderland“ das moderne „Silent Waters“ – eine etwas ruhigere, emotionale Reise (als die Vorgängeralben), die man nur allzu gerne wieder und wieder wiederholen möchte.

Von mir gibt es dafür 9 von 10 Bängs!

neun von zehn

„Borderland“ erscheint am 26. September 2025 via Reigning Phoenix Music und ist als CDLP und digitaler Download erhältlich.


Die Band:

Tomi Joutsen | vocals
Esa Holopainen | guitars
Tomi Koivusaari | guitars
Santeri Kallio | keyboards
Olli-Pekka Laine | bass
Jan Rechberger | drums

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Amorphis Website

By Elias

Schreiberling aus Leidenschaft, Metal-Enthusiast seit der Schulzeit. Verirrt sich gern in den Tiefen des Prog und bestaunt moderne Ansätze zu Rock und Metal.

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